Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender

Adventsgeschichten der Bestsellerautorin Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderPatricia Koelle
Drachengeschichten-Adventskalender
eBook Amazon Kindle

Der kleine Drache Fissinor möchte Menschenkinder kennenlernen – und herausfinden, ob er auch lachen kann. Mit Menschenkindern nimmt man am besten in der Adventszeit Kontakt auf, sagt sein Großvater. Denn in dieser Zeit sind Menschen offener für Erstaunliches. Und so kommt es, dass Lisa und Lukas etwas Ungewöhnliches in ihrem Nikolausstiefel finden, Mondglückchen erhalten und Eispilze kosten dürfen. Fissinor entdeckt dafür Schlittenfahren, Wunderkerzen und Pfefferkuchen. Aber ob er auch das Lachen lernt?
Es gibt vierundzwanzig Geschichten und eine Vorgeschichte für die Zeit, in der man noch darauf warten muss, dass das erste Türchen geöffnet werden darf. Das Buch kann als Adventskalender vorgelesen werden oder wie eine ganz normale Geschichte.

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Stichwörter:
Weihnachten, Advent, Drache, Drachengeschichten, Adventskalender, Adventskalendergeschichten, Adventsgeschichten, Patricia Koelle, Bestsellerautorin, Kindergeschichten

Vorgeschichte Teil 1

Vorgeschichte Teil 1

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Großvater“, sagte Fissinor an einem grauen Tag im November, „ich möchte so gerne wissen, wie es ist, ein Menschenkind zu sein!“

„Hast du nicht genug damit zu tun, ein Drache zu sein?“, brummelte Kumulor. Er war zwar uralt, aber er konnte sich genau daran erinnern, wie es ist, wenn man das Fliegen und Feuerspucken erst noch lernen muss.

„Trotzdem!“, sagte Fissinor. Trotzdem war sein Lieblingswort. Der kleine Drache konnte sehr hartnäckig sein. Das muss man als junger Drache, denn die alten Drachen haben schon so viel erlebt, dass man sie nicht so leicht dazu bekommt zuzuhören. Sie sind immer mit Nachdenken beschäftigt. Vielleicht ist das bei Menschenkindern anders, dachte Fissinor.

„Menschenkinder spielen manchmal“, sagte er. „So ähnlich wie wir. Ich hab das am Strand gesehen und in der Stadt. Sie machen dabei so ein schönes Geräusch. Und Menschen sind spannend. Sie haben Drachen gebaut, in die sie einsteigen und fliegen können. Sie bauen Städte, die wie spitze Gebirge aussehen. Die Städte spucken Rauch, genau wie wir. Ich wüsste gern, wie Menschen sind.“

„Menschen sind sehr seltsam“, sagte Kumulor und sah aus, als wollte er ein Nickerchen machen. Und wenn ein uralter Drache ein Nickerchen macht, dauert es sehr, sehr lange, bis er wieder aufwacht.

„Großvater!“, rief Fissinor schnell.

„Also gut. Aber warte, bis die magische Zeit beginnt. Die Menschen haben ein ähnliches Fest wie unser Feuerfest. Sie nennen es Weihnachten. Es fängt nicht wie bei uns zur Sonnenwende an, sondern drei Tage später. Aber schon vier Wochen davor beginnen sie daran zu denken und zünden Kerzen an, das sind ganz kleine Feuer.“

„Aber warum muss ich bis dahin warten?“

„In dieser Zeit sind die Menschen offener für das, was sie Wunder oder Märchen nennen“, erklärte Kumulor. „Und sie sind auch friedlicher gestimmt. Dann suchst du dir ein Menschenkind, mit dem du reden kannst. Zum Glück gibt es Drachen schon seit so vielen Millionen Jahren, dass wir die Sprachen der meisten Lebewesen beherrschen. Ich werde dir Bescheid geben, wenn es soweit ist. Und nun lass mich in Ruhe!“ Brummend steckte er den gewaltigen Kopf unter seinen Flügel.

Fissinor war zufrieden, denn wenn Kumulor endlich etwas versprochen hatte, dann hielt er es auch. Jetzt musste Fissinor nur noch Geduld haben. Das würde schwer werden, denn die Geduld von kleinen Drachen ist noch genauso klein wie sie selbst. Aber sooo lange war es ja gar nicht mehr bis zum Feuerfest.

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Weihnachten, Advent, Drache, Fissinor, Großvater, Kumulor, Menschenkind, Feuerfest

Vorgeschichte Teil 2

Vorgeschichte Teil 2

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderKumulor steckte den Kopf in den Eingang von Fissinors kleiner Höhle. Sofort wurde es noch dunkler, als es an diesem Winterabend sowieso war, denn Kumulors Kopf war riesig.

„Großvater!“ Fissinor war schon beinahe eingeschlafen und erschrak mächtig.

„Wolltest du nicht ein Menschenkind kennenlernen? Dann komm!“

„Jetzt?“

„Jetzt oder nie. Heute hat für die Menschenkinder das begonnen, was sie Adventskalender nennen. Das ist die Zeit, in der sie endlich glauben, was sie sehen und was man ihnen erzählt.“

Fissinor streckte gähnend seine kleinen Flügel und folgte seinem Großvater durch das Tal bis zu einer kleinen Stadt. Manchmal mussten sie eine Pause machen, denn Fissinor konnte noch nicht lange fliegen, schon gar nicht in der Kälte. Ein wenig mulmig war ihm auch zumute. Es war so dunkel, und wer weiß, ob das Menschenkind freundlich sein würde.

„Ich habe sogar zwei Menschenkinder gesehen, die mir geeignet scheinen“, sagte Kumulor, als ob er Fissinors Gedanken gelesen hätte. „Es sind Zwillinge, ein Männchen und ein Weibchen.“

Sie flogen auf ein Haus zu. „Da kannst du landen. Das Fenster ist offen, klettere einfach hinein. Ich hole dich bald wieder ab“, sagte Kumulor und zeigte mit der Schwanzspitze auf einen kleinen Balkon. Er selbst hätte da nie landen können. Der Balkon wäre sofort abgebrochen.

Fissinor landete mit einem Plumps. Der Boden vom Balkon war eiskalt. Schnell drückte er das Fenster weiter auf und schlüpfte hinein. Es war fast so dunkel wie in seiner Höhle. Nur eine kleine rote Lampe leuchtete an der einen Seite. Fissinor schlich darauf zu und stolperte über etwas Weiches. Vor Schreck quietschte er. Da wurde es plötzlich ganz hell.

„Lisa, was ist?“, fragte eine verschlafene Stimme.

Fissinor blinzelte. Er sah zwei Menschenkinder, die aufrecht in ihren Betten saßen und ihn mit großen Augen anstarrten. Sie sahen genauso erschrocken aussahen aus, wie er sich fühlte. Das machte ihm Mut.

„Hallo“, sagte er.

„Lukas, ein Drache!“ Jetzt war es Lisa, die quietschte.

„Ich bin bloß ein sehr kleiner Drache“, sagte Fissinor bescheiden.

„Woher weißt du, dass das wirklich ein Drache ist, Lisa? Er sieht gar nicht aus wie die Drachen auf den Bildern in Büchern“, sagte Lukas misstrauisch.

„Drachen sehen für ein Menschenkind immer genau so aus, wie es sich einen Drachen vorstellt, sagt mein Großvater“, erklärte Fissinor. „Deswegen dürfte es gar keine Bilder in den Büchern geben, weil derselbe Drache für jedes Kind anders aussieht.“

Lukas stieg aus dem Bett und ging vorsichtig auf Fissinor zu. „Was willst du von uns?“

„Ich dachte, es gibt keine Drachen!“, sagte Lisa und stieg auch aus dem Bett. Mit einem Finger stupste sie Fissimors Rücken an. „Aber du bist gar nicht geträumt!“

Fissinor sah von einem zum anderen. „Großvater hat gesagt, vor Weihnachten können Kinder besser glauben als sonst.“

„Ich wusste immer, dass es Drachen gibt. Bloß die Erwachsenen wissen es nicht“, erklärte Lukas. „Aber ich dachte, Drachen sind viel größer. Und ich dachte nicht, dass sie nachts in Häuser einbrechen.“

„Ich bin eben noch jung, genau wie ihr.“ Fissinor war jetzt doch ein wenig beleidigt. „Ich wollte wissen, wie es ist, ein Menschenkind zu sein und warum sie so schöne Geräusche machen. Großvater hat gesagt, das geht nur abends, weil die großen Menschen mich nicht sehen dürfen. Die machen sonst Geschrei und sperren mich ein.“ Er sah sich ängstlich um.

„Da hat er recht, aber wenn wir leise sind, merken sie es nicht“, beruhigte Lisa ihn und krabbelte wieder unter ihre Decke. „Komm her, du darfst dich auf mein Bett setzen. Es ist kalt.“

Fissinor hüpfte auf das Bett und fand es herrlich weich. Behaglich rollte er sich zusammen. Unter seinem Gewicht platzte die Naht an Lisas Decke auf und eine kleine Daunenfeder flog heraus und kitzelte Fissinor im Ohr. Hastig kratzte er sich mit der Schwanzspitze.

Lisa musste hellauf lachen.

Fissinor setzte sich vor Aufregung ganz gerade. „Das ist es!“, rief er. „Was ist das für ein Geräusch?“

„Was meinst du?“

„Na, was du gerade gemacht hast. Es klingt wie ein Bach, der über Steine hüpft. Ich muss dabei an Sommer denken und Sonnenlicht, das in den Blättern huscht. Und an den Geschmack von Erdbeeren. Es gefällt mir.“

„Er meint lachen, glaube ich“, sagte Lukas. „Lachen Drachen denn gar nicht?“

„Nein …“

„Wir machen es, wenn wir etwas lustig finden und wenn es uns richtig gut geht“, erklärte Lisa. Sie strich Fissinor über den Rücken. Er tat ihr ein bisschen leid. „Vielleicht kannst du es lernen? Versuch doch mal! Bei mir kommt es ganz von selber!“

Fissinor versuchte es, aber es kam nur ein kleines Husten dabei heraus.

„Vielleicht musst du ihn kitzeln!“, schlug Lukas vor.

Lisa nahm die Feder und kitzelte Fissinor noch einmal im Ohr. Fissinor kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich. Doch es kam nur eine Art Schnauben.

„Au weia!“, hörte er Lukas sagen. Fissinor öffnete die Augen und erschrak. Eine ganz kleine Flamme war aus seinen Nasenlöchern gekommen. Das gelang ihm nur selten, denn er war ja noch ein sehr junger Drache. Und wenn er allein war, war es ihm gar nicht erlaubt.

Lisa wedelte mit dem Zeigefinger.

„Das ist nicht gut! Wenn Mama das riecht, denkt sie, wir haben gekokelt!“

„Tut mir leid“, sagte Fissinor zerknirscht. „Ich darf das auch nicht.“

„Ich glaube, er lernt erst lachen, wenn er wirklich verstanden hat, was das ist“, sagte Lukas, der viele Bücher las und manchmal erstaunliche Dinge wusste.

Ausnahmsweise war Lisa der gleichen Meinung.

„Wir erzählen dir einfach, was uns zum Lachen bringt.“

„Ja, du wolltest doch sowieso wissen, wie es ist, ein Menschenkind zu sein“, ergänzte Lukas. „Und dafür erzählst du uns, wie es ist, ein Drachenkind zu sein!“

„Wie heißt du überhaupt?“, wollte Lisa wissen.

„Fissinor.“

„Das passt zu dir“, fand Lukas.

Von draußen kam ein Geräusch, als wäre plötzlich ein Wind aufgekommen, und der Vorhang blähte sich auf.

„Das Erzählen geht jetzt nicht, mein Großvater holt mich ab“, sagte Fissinor traurig. „Aber wenn ich darf, komme ich morgen wieder.“

„Au ja!“, freuten sich Lukas und Lisa. Endlich mal ein Grund, gerne schlafen zu gehen. „Tschüss, Fissinor!“

Fissinor hüpfte vom Balkon und folgte seinem Großvater. Er war müde, aber er hatte das Gefühl, dass ein kleiner Drache auch mit Menschenkindern befreundet sein könnte.

Lisa und Lukas sahen nur einen gewaltigen Schatten vorbeihuschen. Große Drachen wissen sehr gut, wie man sich in der Nacht verstecken kann.

„Hoffentlich kommt er morgen wieder“, sagte Lukas.

„Der kommt“, freute sich Lisa, „der ist genauso neugierig wie du.“

„Schlaf lieber“, brummelte Lukas und kuschelte sich gähnend in sein Bett.

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Weihnachten, Advent, Drache, Fissinor, Kumulor, Großvater

01. Dezember

Drachengeschichte für den 01. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderDiesmal knipste Lisa das Licht schon an, als sie den Wind vor dem Fenster hörte. Sie waren gar nicht erst eingeschlafen, sondern warteten gespannt auf Fissinor.

Fissinor war richtig außer Atem, so schnell war er geflogen. „Mein Großvater hat es erlaubt, er bringt mich jetzt jeden Abend“, berichtete er. „Aber nur kurz und nur bis zu eurem Weihnachtsfest.“

„Heute kannst du auf meinem Bett sitzen!“, sagte Lukas und klopfte einladend auf die Matratze. Vielleicht konnte Fissinor seine Füße wärmen.

Lukas und Lisa trugen beide große weiße T-Shirts mit blauen Schneeflocken darauf. Sie sahen ein bisschen aus wie der Engel auf der Spitze des Weihnachtsbaums an der Kirche, an dem Fissinor vorbei geflogen war. Nur Flügel hatten sie nicht. Schade, dachte Fissinor, wenn sie fliegen könnten, hätten wir bestimmt eine Menge Spaß zusammen.

„Also“, sprudelte Lisa los, noch ehe Fissinor sich gemütlich zusammengerollt hatte, „wir haben uns gedacht, an Weihnachten schenkt man sich was, und im Adventskalender ist auch immer ein kleines Geschenk.“

„Und deswegen werden wir dir welche von unseren Erinnerungen schenken“, erzählte Lukas weiter. Ganz ernst saß er in seinem Bett, wie ein kleiner Lehrer. „Dann erfährst du, wie es ist, ein Menschenkind zu sein.“

„Ja, und wir suchen nur die Erinnerungen aus, die schön und lustig sind. Dann lernst du das Lachen von alleine.“ Lisa hüpfte vor Aufregung im Bett auf und ab. „Es fängt an mit der gelben Wanne, stimmts, Lukas?“

„Ja“, erzählte Lukas, „das ist das erste Lustige, an das wir uns beide erinnern können. Wir hatten eine gelbe Plastikwanne, die stand im Sommer auf der Wiese und wenn es heiß war, hat Papa Wasser reingefüllt.“

„Was ist eine Wanne?“, wollte Fissinor wissen.

„Na, so eine Art ganz kleiner See“, half Lisa. „Da durften wir reinspringen und planschen. Das Wasser war so kalt, dass wir gekreischt haben, aber dann war es sehr lustig. Lukas hat sich vorgestellt, er wäre ein Frosch. Und ich hab so getan, als wäre ich eine Wasserprinzessin, die silberne Wasserperlen spritzen kann. Den Papa haben wir auch nass gespritzt.“

„Du kannst ja doch lachen! Du lachst mit deiner Schwanzspitze!“, rief Lukas und zeigte auf Fissinor, der sich überrascht umdrehte. Tatsächlich, als Lisa erzählte und Fissinor sich alles vorstellte, da hatte seine Schwanzspitze ganz von alleine angefangen, lustige Kringel in die Luft zu malen.

„Das macht aber kein Geräusch. Ich möchte richtig lachen!“

„Das ist aber doch ein Anfang“, meinte Lisa. „Jetzt bist du dran. Hast du auch schon mal geplanscht?“

„Junge Drachen dürfen leider nicht ins Wasser“, erklärte Fissinor. „Unsere Haut ist zu dünn. Wenn kleine Drachen nass werden, können wir als erwachsene Drachen nicht gut Feuer spucken. Aber als ich mal alleine war und es geregnet hat, bin ich aus der Höhle gelaufen. Die Regentropfen haben auf meiner Haut getanzt und gekitzelt, weil sie kalt waren. Das hat mir sehr gefallen!“

„Bestimmt hat sich da auch deine Schwanzspitze gekringelt“, sagte Lukas.

Draußen kam ein Wind auf und der Vorhang blähte sich.

„Mein Großvater! Tschüss, Lisa, tschüss, Lukas. Danke für die Erinnerung!“ Fissinor sauste schleunigst zum Fenster.

„Gute Nacht, Fissinor!“, riefen die Zwillinge und kuschelten sich ein und dachten an einen ganz kleinen Drachen im Regen.

Fissinor sah im Vorbeifliegen einen See im Mondlicht leuchten und dachte an ein Menschenmädchen, das mit silbernen Tropfen Prinzessin spielte.

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Weihnachten, Advent, Drache, Bett, Prinzessin

02. Dezember

Drachengeschichte für den 02. Dezember

© Patricia Koelle

Lisa wachte auf, weil etwas auf ihr Bett geplumpst war. „Hast du mich erschreckt!“

„Wieso schlaft ihr denn schon?“, wunderte sich Fissinor.

Lukas rührte sich auch erst jetzt und gähnte erstmal ausgiebig. „Wahrscheinlich, weil wir uns gestern so lange mit dir unterhalten haben.“

„Sind Drachenkinder denn nie müde?“, wollte Lisa wissen.

„Ja, aber jetzt noch nicht. Menschenkinder brauchen viel mehr Schlaf als ich, hat Großvater gesagt, deswegen holt er mich ja so früh wieder ab.“

„Wir waren aber trotzdem mal im Dunkeln draußen“, sagte Lukas. „Das ist auch eine lustige Erinnerung. Da haben wir bei Freunden geschlafen. Und mitten in der Nacht sind wir heimlich aus dem Fenster gestiegen.“

„Wir haben im Garten Verstecken gespielt. Das war unheimlich“, erzählte Lisa. „Lukas war mit Suchen dran. Er hat niemanden gefunden weil es so dunkel war und musste immer weiter suchen. Da kam er plötzlich angelaufen und hat die Regentonne umarmt und gesagt: Ich hab dich!“

Fissinors Schwanz drehte viele Kringel.

Lukas bemerkte es. „Ich hab halt gedacht, es ist Lisa im Bademantel. Es war doch so dunkel!“, verteidigte er sich.

„Dabei saß ich unter einem Busch direkt daneben“, lachte Lisa. „Ich musste kichern, und da hat Lukas einen Schreck gekriegt.“

„Ich hab mich auch mal nachts erschreckt“, sagte Fissinor. „Ich wollte sehen, ob ich mich im Dunkeln allein aus der Höhle traue. Da war ich noch viel kleiner. Und da bin ich plötzlich mit jemandem zusammengestoßen. Ich dachte, meine Tante hat mich erwischt. Aber es war bloß Mirineli, und die war ganz genauso erstaunt. Vor Schreck haben wir beide eine kleine Flamme gemacht und uns beinahe gegenseitig die Nase verbrannt.“

„Wer ist Mirineli?“, wollte Lukas wissen.

„Ein Drachenmädchen. Sie wohnt in der Höhle neben unserer. Manchmal spielen wir zusammen.“

„Was spielt ihr denn so?“, fragte Lukas.

„Och, auch Verstecken – und über Hindernisse flattern mit den Augen zu – und wer am schnellsten ein tiefes Loch graben kann …“

„Ist Mirineli genauso groß wie du?“ Lisa fand es spannend, dass es auch Drachenmädchen gab.

„Ein bisschen kleiner. Und nicht so grün. Manchmal schimmert sie blau, wie der Himmel, wenn die Sonne scheint.“

Lisa wollte noch mehr über Mirineli erfahren, aber da wackelte das Fenster im Wind.

„Gute Nacht, Fissinor!“, riefen Lukas und Lisa.

„Bis morgen!“

Auf dem Heimweg dachte Fissinor daran, wie Lukas eine Tonne umarmte und sein Schwanz kringelte sich so sehr, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.

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Weihnachten, Advent, Drache, Drachenkinder, Drachenmädchen

03. Dezember

Drachengeschichte für den 03. Dezember

© Patricia Koelle

„Ich hab euch was mitgebracht!“, rief Fissinor.

„Psst!“, machte Lukas. „Nicht so laut, sonst hört uns Mama. Die hat Ohren wie ein Luchs!“

„Oh!“, machte Fissinor kleinlaut. Er wusste, dass ein Luchs eine große wilde Katze ist. Luchse leben im Wald. Einer hatte ihm schon mal was mit den Krallen auf die Nase gegeben.

„Was hast du uns mitgebracht?“, fragte Lisa aufgeregt. Sie hatte noch nie ein Geschenk von einem Drachen bekommen.

Fissinor legte erst ihr, dann Lukas etwas in die Hand. Sie drehten es andächtig hin und her.

„Oh, wie schön!“, staunte Lisa, und Lukas musste wieder „Psst!“, machen. Die Gegenstände waren schwer und glatt und sahen aus wie Eier, nur ein bisschen kleiner. Ihre Oberfläche glänzte wie Glas und fühlte sich auch so an, nur: sie leuchteten. Lisas schimmerte hell, Lukas‘ dunkler. „Was ist das? So einen Stein habe ich noch nie gesehen!“ Lukas wunderte sich, denn er kannte viele Steine und konnte Granit von Sandstein unterscheiden und Rosenquarz von Bergkristall.

„Das sind Mondglückchen“, erklärte Fissinor. „Alte, erfahrene Drachen können sie herstellen, aber nur am Tag unseres Feuerfestes. Großvater sagt, das Fest ist ähnlich wie euer Weihnachtsfest, nur ist es schon am 21. Dezember, zur Sonnenwende. Und es muss Vollmond sein. Dann können die Drachen mit ihrer Flamme ein besonderes Lavagestein schmelzen und neu formen. Wenn es wieder hart wird, fängt es das Mondlicht ein und hält es für immer fest. Man sagt, sie bringen Glück, denn in der Seele eines Lebewesens, das ein Mondglückchen besitzt, kann es niemals ganz dunkel werden.“

„Oh, wie schön!“, sagte Lisa zum zweiten Mal und starrte verzückt auf das Leuchten in ihrer Hand. „Sie fühlen sich warm an!“

„Ja, eine Spur von dem Drachenfeuer bleibt auch in ihnen zurück. Lisa – was machst du da mit deinem Mund?“

„Ich, wieso?“

„Sie lächelt“, sagte Lukas. „Das machen wir, wenn wir uns besonders freuen. Könnt ihr das auch nicht?“

Fissinor schnitt Grimassen, aber so richtig wollte ihm kein Lächeln gelingen. Lukas verkniff sich ein Lachen.

„Schade“, sagte Fissinor. „Lisa sieht hübsch aus, wenn sie lächelt. Aber ich bin eben ein Drache.“

„Du bist ein ganz besonderer Drache“, sagte Lisa. „Komm mal her.“ Mit den Zeigefingern schob sie ganz behutsam Fissinors Mundwinkel nach oben. „Siehst du, geht doch.“

„Das musst du nur ein bisschen üben“, sagte Lukas. „Dazu braucht man bestimmte Muskeln, die kannst du sicher trainieren. Zum Lächeln braucht man nämlich viel weniger Muskeln, als wenn man ein unfreundliches Gesicht machen will.“

„Halt jetzt keine Vorträge“, sagte Lisa, „mir ist eine Erinnerung für Fissinor eingefallen, die passt zu den Mondglückchen. Weißt du noch, der Glasbläser auf dem Weihnachtsmarkt?“

Fissinor kuschelte sich erwartungsvoll auf Lukas‘ Bett.

„Ach ja! Das ist ein Mann, der auch mit Feuer arbeitet. Glas muss man bei ganz großer Hitze schmelzen. Das gibt es in ganz vielen Farben, Blau und Grün und Gelb und Rot. Dann nimmt er eine glühende Kugel auf eine lange Stange und bläst sie auf, dabei muss er sie immer drehen, sonst wird sie krumm und reißt. Es sieht aus wie Zauberei. Das ist aber keine lustige Erinnerung, sondern eine schöne.“

„Eine, wo man lächelt?“, erkundigte sich Fissinor.

„Genau!“

„Ja, und dann wird ein Glas aus der Kugel oder eine Vase“, ergänzte Lisa. „Aber der Mann auf dem Weihnachtsmarkt, der konnte auch kleine Figuren machen, Pferde und Schwäne und Einhörner und Seehunde. Wenn die Sonne auf sie scheint, leuchten sie auch und sehen aus wie lebendig. Wir durften uns jeder eine Figur aussuchen. Und für dich hab ich deswegen auch ein Geschenk!“

Sie öffnete einen Schrank und holte vorsichtig etwas heraus. „Guck mal!“

Auf ihrer Handfläche saß ein ganz kleiner Drache und blickte Fissinor verschmitzt entgegen. Er sah ihm sehr ähnlich.

„Für mich? Wirklich für mich?“ Fissinor konnte es kaum glauben.

„Na klar. Warte, ich pack dir das in dieses kleine Kästchen, dann geht es nicht kaputt.“ Lisa war sich nicht sicher, wie kräftig eine Drachenpfote zupackt, auch wenn es die Pfote eines sehr jungen Drachens ist.

„Fissinor – du lächelst“, bemerkte Lukas. Und tatsächlich, Fissinors Mundwinkel hoben sich ein klein wenig nach oben.

Auf dem Heimflug umklammerte er ganz fest das Kästchen mit der Glasfigur, die ihm so ähnlich sah und die ihm ein Menschenkind geschenkt hatte.

Lisa und Lukas schliefen schon, und jeder hielt ein Mondglückchen warm in seiner Hand. Vielleicht lächelten sie deshalb auch im Schlaf.

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Weihnachten, Advent, Drache, Geschenk, Mondglückchen

04. Dezember

Drachengeschichte für den 04. Dezember

© Patricia Koelle

„Uiii!“ Fast wäre Fissinor vom Balkon gefallen, als er zu landen versuchte. Denn dort standen schon Lisa und Lukas in dicken Bademänteln und außerdem noch ein seltsamer dreibeiniger Gegenstand.

„Verzeihung“, lachte Lukas, „aber du hast gerade noch Platz. Uns ist gestern zu den Mondglückchen eine Erinnerung eingefallen, und wir möchten dir etwas zeigen.“

„Eine Erinnerung zum Lachen-Lernen oder eine zum Lächeln?“ Fissinor war neugierig.

„Das ist eine schöne Erinnerung, keine lustige, also eher zum Lächeln“, meinte Lisa. „Irgendwie scheint es so, als ob die schönen Erinnerungen noch wichtiger sind als die lustigen. Jedenfalls fallen uns mehr davon ein.“

„Das war nämlich so“, erzählte Lukas, „als wir noch ziemlich klein waren, hat uns Vater mal nachts geweckt. Das war im Sommer, es war ganz warm und draußen haben die Grillen gesungen und es duftete nach Gras.“

„Wir durften im Schlafanzug in den Garten, und da stand dieses Teleskop“, erklärte Lisa. „Erst hatte ich ein bisschen Angst, weil es wie ein großes Auge aussah, aber dann war es wie Zauberei. Ein bisschen als ob wir fliegen könnten, so wie du.“

Fissinor schnüffelte verwundert an dem seltsamen Ding. „Was ist ein Teleskop?“

Lukas drehte an ein paar Knöpfen. „Es ist wirklich wie ein Auge. Du kannst damit Dinge sehen, die ganz weit weg sind, wie zum Beispiel der Mond.“

„Den Mond kann ich doch auch so sehen!“, wunderte sich Fissinor.

„Aber nicht so! Komm her. Guck hier durch.“

Fissinor musste seinen langen Hals ein wenig verrenken, bis er herausbekam, wie er ein Auge an das komische Rohr halten musste. Aber dann… „OOOH!“ Er kannte den Mond nur als helle Scheibe, aber jetzt erblickte eine riesige, silberweiß leuchtende Kugel, auf der Kreise und Schatten und große dunkle Flecken zu sehen waren. Es war wirklich wunderschön!

„Jetzt weißt du ganz genau, wo das Licht herkommt, das ihr in den Mondglückchen eingefangen habt“, freute sich Lisa.

„Ich zeig dir noch was“, sagte Lukas und bewegte das Rohr in eine andere Richtung. Siehst du den Stern da oben, über der Spitze von der Tanne?“

„Ja …?“

„Jetzt siehst du nur einen Punkt, stimmt’s? Er sieht aus wie alle anderen Sterne, vielleicht ein bisschen heller. Aber das ist gar kein Stern. Das ist ein Planet, so wie die Erde, auf der wir leben. Und jetzt guck durch das Teleskop.“

„Oooh!“, machte Fissinor wieder. Der Planet war zwar viel kleiner als der Mond, aber um ihn herum schwebte ein leuchtender Ring.

„Er heißt Saturn“, sagte Lukas.

„M…m…mir ist so kalt. Lass uns reingehen.“ Lisas Zähne klapperten schon.

Schnell machte Lukas den Deckel auf das Teleskop und die Kinder sausten in ihre Betten. Fissinor hatte nichts bemerkt, Drachen frieren nicht so schnell.

„Hast du auch eine Erinnerung, die mit Mond und Sternen zu tun hat?“, fragte Lisa.

Fissinor rollte sich auf einem Kissen zusammen. „Ja, wenn kleine Drachen zehn Jahre alt werden, dann gibt es ein Fest. Sie sind dann kräftig genug, um auf den Himmelsberg zu können, natürlich nur zusammen mit den großen Drachen. Das ist ein sehr hoher, spitzer Berg, auf den auch die erwachsenen Drachen nur an ganz besonderen Tagen klettern. Ein Stück kann man natürlich fliegen, aber oben wird die Luft zu dünn und der Wind zu gefährlich. Da kann man leicht an den Felsen hängen bleiben.“

„Und was passiert oben auf dem Berg?“, wollte Lisa wissen.

„Dort sieht man viel mehr Sterne als irgendwo sonst auf der Welt. Großvater sagt, es ist, weil man so nahe am Himmel ist. Vater sagt, es liegt daran, weil da oben kein Schmutz in der Luft ist. Man kommt sich ganz klein vor zwischen den Sternen. Und jedes Drachenkind darf sich ein Sternbild aussuchen, das ihm den Rest seines Lebens Rat und Trost bringen wird. Meins ist der Große Mensch. Er trägt ein silbernes Schwert, so wie die Ritter aus den alten Zeiten, von denen Großvater erzählt.“

„Der Große Mensch?“ Lukas zeichnete schnell ein paar Punkte auf ein Blatt Papier. „Sieht der etwa so aus?“

Fissimor staunte. „Ja, genau so!“

„Das ist Orion! Da haben wir ja was gemeinsam. Er ist auch mein Lieblingssternbild. Jetzt im Winter sieht man ihn auch von hier“, sagte Lukas. „Du, dein Großvater ist draußen!“

Auf dem Heimflug entdeckte Fissinor Orion, den „großen Menschen“ tatsächlich. Ganz aufrecht stand er am Horizont und sein Schwert glitzerte hell.

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Weihnachten, Advent, Orion, Sternbilder, Teleskop, Planeten, Mond, Sterne

05. Dezember

Drachengeschichte für den 05. Dezember

© Patricia Koelle

„Wo bleibst du denn?“, sagte Lukas. Er hatte schon am Fenster gestanden und nach Fissinor Ausschau gehalten.

„Tut mir leid“, schnaufte Fissinor. „Mein Großvater musste mal wieder nachdenken. Das dauert immer so lange, bis der zu Ende gedacht hat.“

„Bist du sicher, dass er nicht geschlafen hat?“

„Kann sein“, gab Fissinor zu. „Aber er sagt immer, er denkt nach! Warum lachst du jetzt, Lisa? War ich komisch?“

„Du nicht, aber ich habe eine Erinnerung dazu“, sagte Lisa. „Unser Vater denkt auch manchmal nach, sogar beim Essen. Mama sagt dann: Du bist wohl mit den Gedanken wieder auf dem Mond!“

Jetzt musste Lukas lachen. Fissinor versuchte, es ihm nachzumachen, aber es wurde bloß ein merkwürdiges Pusten. Immerhin ohne Flamme.

„Ja, und da hat er mal den Pudding mit der Butter verwechselt und einen ganz großen Löffel voll Butter in den Mund gesteckt!“

„Was ist das – Butter und Pudding?“

„Pudding ist süß und total lecker. Butter ist gut, wenn man ein bisschen auf das Brot streicht. Aber wenn man einen ganzen Löffel davon isst, ist das voll eklig“, erklärte Lisa. „Du hättest sein Gesicht sehen sollen!“

„Vielleicht so wie Mirinelis Gesicht, als ich ihr einen Apfel in den Mund gesteckt habe“, vermutete Fissinor.

„Wieso, Äpfel sind doch lecker!“

Fissinor schüttelte sich.

„Essen Drachen denn kein Obst?“

„Nein – nur ich, ich mag Erdbeeren. Dafür spotten die anderen über mich.“

„Ihr habt es gut“, seufzte Lukas, der lieber Gummibärchen aß als die Äpfel, die er mit in die Schule bekam.

„Da gibt es aber bestimmte Blätter, die wir essen müssen“, ergänzte Fissinor. „Die schmecken auch nicht so toll.“

„Warte mal“, sagte Lisa und nahm eine kleine Schüssel von ihrem Nachttisch. „Ich hab was für dich!“

Fissinor schnupperte. „Mmmh – Erdbeeren! Die gibt es bei euch im Winter?“

„Eigentlich nicht, sie sind jetzt sehr teuer, aber unser Vater hatte heute Geburtstag und hat sich welche gewünscht.“

Fissinor kostete. „Mmmh – lecker, aber sie schmecken nicht ganz richtig nach Sommer. Bei uns im Wald gibt es ganz kleine, die schmecken noch besser.“ Er sah Lisa an. „Wenn ihr Geburtstag habt, bringe ich euch welche mit.“

„Au ja, das geht, wir haben im Sommer Geburtstag“, freute sich Lisa.

Aber es würde noch lange dauern bis zum Sommer, und draußen rauschte ein seltsamer Wind.

„Tschüss, und danke für die Erdbeeren!“, sagte Fissinor schnell. Auf dem Heimweg überlegte er, ob er Lukas um ein wenig Butter bitten sollte. Er hätte gern einmal gesehen, was für ein Gesicht sein Großvater machen würde, wenn man ihm so etwas auf den Stein schmuggelte, von dem er aß.

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Weihnachten, Advent, Pudding, Apfel

06. Dezember

Drachengeschichte für den 06. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderAm Fenster rumpelte es. „Macht auf!“, kam Fissinors Stimme von draußen.

„Was schleppst du denn da an – oh!“, sagte Lukas.

„Ihr habt eure Stiefel vor der Haustür vergessen!“, schnaufte Fissinor. „Ich dachte, ich bring sie lieber mit, ehe ihr Ärger kriegt.“

Lisa fing an zu lachen. „Ihr Drachen kennt wohl keinen Nikolaus, oder?“

„Wer ist Nikolaus? Wohnt hier noch jemand?“ Fissinor war verwirrt, legte aber den Kopf schief, weil er Lisas Lachen so gerne hörte.

„Zeig mal, steckt schon was drin?“ Lukas fühlte in seinem Stiefel herum.

„Das ist doch viel zu früh! Fissinor, sei nicht böse, aber könntest du vielleicht …“ Sie war ein bisschen verlegen. Fissinor hatte ja nur helfen wollen.

„Könntest du vielleicht so nett sein und die Stiefel wieder dahin zurückstellen, wo sie waren?“, half ihr Lukas. „Wenn wir jetzt runtergehen, merkt Mama das. Und wenn du wieder hoch kommst, erklären wir dir, warum sie da stehen müssen.“

„Ihr Menschen seid merkwürdig“, brummelte Fissinor, verschwand aber bereitwillig mit den Stiefeln im Dunkeln.

„Das ist so“, erzählte Lisa als Fissinor schließlich gemütlich zusammengerollt auf ihrem Bett lag. „Wir stellen an diesem besonderen Tag jedes Jahr unsere Stiefel vor die Tür. Aber nur einen natürlich, sonst denkt der Nikolaus wir können nicht genug kriegen und ärgert sich. Ja, und nachts kommt dann der Nikolaus und füllt Süßes in den Stiefel oder kleine Geschenke.“

„Angeblich nur, wenn man brav war“, fügte Lukas hinzu. „Aber wir waren nicht immer brav, und es war trotzdem immer was im Stiefel. Vielleicht ist der Nikolaus gar nicht so streng – oder er kann sich bei den vielen Kindern nicht alles merken.“

„Ja, einmal waren sogar Möbel für meine Puppenstube drin“, erinnerte sich Lisa.

„Und bei mir Matchbox-Autos.“

„Und gar nichts Schönes zu essen?“, fragte Fissinor, der sich unter Matchbox-Autos nichts vorstellen konnte. Von Möbeln verstand er auch nicht viel. Aber so ein Bett mit Federdecke, das war schon ganz angenehm, fand er.

„Doch, klar, ein Schokoladennikolaus und Dominosteine und Nüsse.“

„Steine? Ihr esst Steine? Mit so kleinen Zähnen?“

Diesmal musste Lukas lachen. „Die heißen doch nur so. Es ist so eine Art Würfel aus Teig und Marzipan und Schokolade. Ich heb dir einen auf, wenn wieder welche im Stiefel sind.“

„Habt ihr den Nikolaus denn mal gesehen?“

„Wir haben es versucht. Ich bin abends runter geschlichen, aber die Stiefel waren noch leer. Dann hab ich auf der Treppe gewartet, aber da kam keiner. Ich bin eingeschlafen und Papa hat mich gefunden und ins Bett getragen“, berichtete Lisa.

„Und ich bin um Mitternacht runter, und ich glaube, ich habe den Schatten vom Nikolaus gesehen“, sagte Lukas. „Aber mehr nicht. Und es ist ja auch schöner, wenn es eine Überraschung ist, was in den Stiefeln steckt.“

„Habt ihr auch so was Ähnliches?“, fragte Lisa. „Ich meine, Stiefel habt ihr ja nicht, aber vielleicht bekommt ihr was geschenkt?“

„Erzähl ich lieber morgen“, sagte Fissinor und hatte es plötzlich eilig, zum Fenster hinauszusteigen. „Ich will lieber aufpassen, dass Großvater nicht auch die Stiefel einsammelt!“

Am nächsten Morgen staunten Lukas und Lisa sehr. In den Stiefeln waren neue Buntstifte und Dominosteine und Marzipankartoffeln. Aber ganz unten in der Spitze war noch etwas Flaches, Hartes.

Lisa zog ihres zuerst heraus. „Was ist das denn?“, sie drehte es hin und her. „Lukas, guck mal, wie schön!“

Das Ding war etwa so groß wie ein Brillenglas und fast durchsichtig. Es war nicht ganz rund, aber auch nicht viereckig – mehr wie ein Dreieck mit ausgebeulten Seiten. Und es schimmerte in allen Farben: hauptsächlich grün, aber auch blau und golden und rötlich. Ein bisschen wie eine Seifenblase.

Lukas drehte es hin und her, dann erkannte er die Form. „Das ist eine Schuppe von Fissinor!“, rief er.

Und tatsächlich. Fissinor hatte sich am Abend heimlich zwei Schuppen vom Schwanz gezogen. Die wachsen zum Glück wieder nach – das ist so, wie wenn ein Mensch eine Wimper oder ein Haar verliert. „Was der Nikolaus kann, kann ich schon lange!“, hatte sich Fissinor gedacht und die beiden Schuppen in die Stiefel gesteckt.

„Wenn man durchguckt, leuchtet alles ganz bunt!“, stellte Lisa fest. „So etwas Schönes hatten wir noch nie im Stiefel!“

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Weihnachten, Advent, Nikolaus, Stiefel, Schokoladennikolaus, Dominosteine, Nüsse

07. Dezember

Drachengeschichte für den 07. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Was ist denn das?“ Als Fissinor zum Fenster hereinkletterte, sah er mitten im Zimmer eine bunte Papierserviette liegen. Darauf stand ein kleiner Stapel aus dunkelbraunen Würfeln. Neugierig stupste er mit der Schnauze dagegen und der kleine Turm fiel um. „Oh“, machte Fissinor erschrocken.

Lukas und Lisa saßen in ihren Betten und lachten. „Das macht nichts“, sagte Lisa, „die sind für dich, zum essen.“

„Das sind die Dominosteine aus den Stiefeln“, erklärte Lukas. „Und übrigens vielen Dank für die Schuppen!“

„Oh ja, alles sieht so schön aus, wenn man hindurchguckt! Danke, Fissi!“, sagte auch Lisa.

Fissinor war ganz gerührt und schnappte schnell einen Dominostein. Er war sich nicht ganz sicher, ob ihm der schmeckte. Aber interessant fand er ihn und aß gleich noch einen zweiten. Der war schon besser. Aber warum die Dinger „Steine“, hießen, verstand er nicht. Es gab nur wenige Drachen, die stark genug waren, mit ihren Zähnen Steine zu zerkauen. Aber dieses Zeug hier war so weich wie der Matsch in der Sandgrube, in der er manchmal spielte.

„Du wolltest uns erzählen, was es bei euch gibt, das so ähnlich ist wie Nikolaus“, erinnerte Lisa ihn.

„Ja, das ist aber nicht im Winter“, erzählte Fissinor. „Das ist zur Sommersonnenwende, am längsten Tag des Jahres. Danach werden die Tage wieder kürzer. Und damit die kleinen Drachen nicht traurig darüber sind, bekommen sie nachts ein Glas vor die Höhle gestellt.“ Der kleine Drache schluckte einen dritten Dominostein.

„Und was ist in dem Glas drin?“, fragte Lisa ungeduldig.

„Lauter Glühwürmchen. Das sind kleine Käfer, die nachts leuchten. Bei uns gibt es die eigentlich nicht, aber die großen Drachen fangen sie in einem fernen Wald und bringen sie uns.“

„Ich weiß, was Glühwürmchen sind!“, rief Lukas. „Aber ich habe noch nie welche gesehen, nur im Bilderbuch.“ Er sprang aus dem Bett, holte ein Buch aus dem Regal und hielt es Fissinor vor die Nase. „Sehen die so aus?“

„Oh, das ist mein Lieblingsbuch!“, sagte Lisa. Auf dem Bild war eine weite Wiese zu sehen. Es war Nacht. Der Mond schwebte zwischen den Bäumen und über dem Gras sah man eine Gruppe kleiner, leuchtender Käfer, die über den Blumen tanzten. Die Käfer waren so hell, dass die Blumen auch leuchteten.

„Ja, so sehen sie aus“, sagte Fissinor. „Alle Drachenkinder treffen sich abends mit ihren Gläsern auf genau so einer Wiese, und dann lassen wir alle Glühwürmchen auf einmal frei. Es sieht ganz toll aus. Und wenn die Glühwürmchen anfangen zu fliegen, fliegen wir ein Stück mit ihnen. Einmal haben sich welche auf Mirinelis Rücken und ihre Flügel gesetzt. Sie fand, es kitzelt, aber sie sah wirklich schön aus, wie verzaubert.“

„Wie lange leuchten denn die Glühwürmchen?“, wollte Lisa wissen.

„Die ganze Nacht. Und das ist die einzige Nacht, in der wir Drachenkinder überhaupt nicht schlafen müssen. Wir dürfen mit den Glühwürmchen spielen, bis es hell wird. Dann kommen die großen Drachen und bringen etwas zu essen. Wir haben dann auch ganz schön Hunger. Mirineli hat letzten Sommer sieben ganze Mäuse gegessen!“

„Lukas hat auch mal sieben Würstchen gegessen, an meinem Geburtstag“, kicherte Lisa.

„Das waren aber sehr kleine Würstchen!“, protestierte Lukas. „Du, Fissinor, könntest du uns im nächsten Sommer vielleicht mal die Glühwürmchen zeigen, ehe du sie freilässt?“

„Au ja, bitte, Fissi!“, rief Lisa.

„Wenn Großvater es erlaubt, klar! Aber da ist er, ich muss weg“, sagte Fissinor.

Auf dem Heimflug dachte er: „Die Lichter der Stadt sehen von oben eigentlich auch aus wie ganz viele Glühwürmchen!“

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Weihnachten, Advent, Glühwürmchen, Dominosteine

08. Dezember

Drachengeschichte für den 08. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderAm nächsten Tag war es noch einmal richtig warm. Eigentlich hätte es schon längst schneien müssen. Stattdessen hatte Lisas und Lukas‘ Mutter die Kinder gebeten, ganz hinten im Garten die letzten Blätter aufzufegen.

„Huhu!“, sagte da eine vertraute Stimme und eine kleine grüne Schnauze kam hinter dem Birnbaum hervor.

„Fissinor!“, riefen die Zwillinge gleichzeitig und Lisa fragte: „Was machst du denn schon hier? Was ist, wenn dich jemand sieht?“

„Ist ja nur ausnahmsweise! Heute Abend muss ich meine Großtante besuchen, sie hat vierhundertsten Geburtstag. Da habe ich Großvater nicht in Ruhe gelassen, bis er mir erlaubt hat zu kommen. Ich will auch mal sehen, was ihr bei Tag macht. Ich durfte sogar allein kommen. Ein großer Drache wie Großvater fällt viel zu sehr auf, wenn es nicht dunkel ist.“

„Und dich hat niemand gesehen?“

„Vater sagt, Menschen sehen nur, woran sie glauben. Und an Drachen glauben sie nicht, schon gar nicht an kleine. Was macht ihr da?“

„Wir fegen die Blätter auf, damit der Rasen nicht darunter erstickt.“

„Ist das nicht langweilig?“

„Ich mag Blätter“, sagte Lisa, „ich finde, der Himmel macht Konfetti. Und damit kann man toll spielen. Wir machen einen großen Haufen und dann klettern wir auf den Kirschbaum und springen rein.“

„Aber nur vom unteren Ast!“, warnte Lukas. „Und außerdem rascheln die Blätter so schön, als ob sie lauter Geschichten vom Sommer erzählen.“

„Und sie leuchten in der Sonne, als ob alles voller Gold wäre“, ergänzte Lisa. „Wir können Piraten spielen oder Könige und der ganze Garten ist unsere Schatzkammer!“

Fissinor versuchte, die Blätter mit dem Schwanz zusammenzufegen, aber das ging nicht besonders gut. „Wir haben auch ein Spiel“, fiel ihm ein, „aber das können die großen Drachen besser.“

„Zeig doch mal“, ermutigte ihn Lukas.

Fissinor drückte seinen Hals und Kopf an den Boden, atmete tief ein und pustete in die Blätter. Dabei bewegte er den Hals hin und her als wäre er eine Schlange. Die Blätter fingen an sich zu bewegen und stiegen schließlich in einem kleinen Wirbel auf, der sich wie ein Kreisel über den Boden drehte.

„Klasse!“, freute sich Lisa.

Sie fanden schnell heraus, dass das nicht nur schön aussah, sondern auch nützlich war. Fissinor jagte die Blätter auf diese Weise alle auf den großen Haufen.

„Und jetzt springen!“ Schon war Lisa auf den Kirschbaum geklettert. Der untere Ast war zum Glück nicht sehr hoch, es sollte ja nicht gefährlich werden. Der riesige Blätterhaufen war herrlich weich, als ob man in ein großes Kissen fiel. Fissinor sprang auch ein paar Mal hinein. Natürlich musste er dazu nicht auf den Baum klettern, sondern flog einfach ein kleines Stück und ließ sich dann fallen. Es war sehr lustig und ab und zu stellte Fissinor die Ohren auf, weil er die Zwillinge doch so gern lachen hörte. Einmal ließ er sich selbst so schnell fallen, dass er ganz tief im Blätterhaufen verschwand.

„Hast du das gehört?“, fragte Lukas Lisa.

„Ja, ich glaube, Fissinor hat gelacht!“ Aber sicher waren sie sich nicht.

Am Ende mussten sie den Haufen noch mal zusammenkehren, weil bei dem Herumtoben die Blätter wieder auseinander geflogen waren.

„Vorsicht!“, flüsterte Lukas plötzlich, „Mein Vater kommt, der will die Blätter in die Säcke füllen!“

„Dann Tschüß, bis morgen!“ Fissinor schlich sich schnell hinter den Fliederbüschen fort und flog auf das Dach vom Nachbarhaus. Dort drückte er sich noch einen Moment an den Schornstein und sah zu, wie der Vater die vollen Säcke mit der Schubkarre auf die Straße hinaus brachte. Lisa und Lukas durften in der wackeligen Karre mitfahren und kreischten vor Vergnügen. Dann wurde es aber zu heiß am Schornstein, fast hätte sich Fissinor den Schwanz verbrannt. Da flog er doch lieber nach Hause. Vielleicht gab es ja Mäuseknödel bei Großtante Merfadona.

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Weihnachten, Advent, Drache, Großvater, Geburtstag, Blätter fegen

09. Dezember

Drachengeschichte für den 09. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderFissinor hüpfte von der Fensterbank. Er bekam einen Riesenschreck, denn er stieß gegen einen Gegenstand, der polternd umfiel. Etwas verhakte sich in seinen Krallen. „Huch!“

„Oh, entschuldige“, sagte Lukas und kam ihm hastig zu Hilfe. „Wir haben vergessen, unsere Federballschläger wegzuräumen.“

Fissinor schnupperte an den seltsamen Gebilden aus einem Stiel und einem steifen Netz. „Was ist das denn Komisches?“

„Mein Lieblingsspiel“, erklärte Lisa. „Dabei stelle ich mir immer vor, ich kann fliegen. Für dich wäre das ja nicht Besonderes.“

„Aber wie funktioniert es?“

„Jeder bekommt einen Schläger, und dann schlägt man damit diesen Ball hin und her“, erklärte Lukas und zeigte ihm den Ball aus einem runden Stück Gummi und einem Kranz weißer Plastikfedern.

„Er fliegt mit einem tollen Zischen ganz hoch in den Himmel. Am liebsten spiele ich das abends wenn gerade die Sonne untergeht.“

Fissinor merkte, dass Lisa dieses Spiel sehr gern mochte.

„Warum hat das Dings keine echten Federn, wenn es fliegen soll?“, wollte er wissen.

„Das gibt es auch, ist aber zu teuer“, sagte Lukas. „Weißt du, die Bälle gehen auch oft verloren. Sie fliegen zu weit oder werden vom Wind abgetrieben und landen in irgendeinem anderen Garten oder auf der Straße oder einem Garagendach. Die findet man nie wieder. Oft können wir nicht spielen, weil alle Bälle weg sind und das Taschengeld nicht für neue reicht. Habt ihr Drachenkinder eigentlich auch so ein Spiel?“

„Wir machen manchmal Astweitwurf. Wir versuchen, mit dem Schwanz ein Holz über eine bestimmte Linie zu schleudern. Aber das können die Größeren besser. Da muss ich noch viel üben“, sagte Fissinor. „Ich muss los.“

„Schon? Du bist doch gerade erst gekommen. Und ich habe deinen Großvater noch nicht gehört!“ protestierte Lisa.

„Trotzdem!“ Fissinor klang irgendwie geheimnisvoll.

Die Zwillinge waren schon fast eingeschlafen, da rumorte es noch einmal am Fenster.

„Was ist denn jetzt los?“ Lukas öffnete.

Fissinor hüpfte herein, die kleinen Arme voller Federbälle. Da er nicht viel in den Pfoten tragen konnte, hatte er noch einen auf jedem Ohr sitzen, einen auf der Nase und einen auf der Schwanzspitze. Er sah so komisch aus, dass die Kinder sich schnell die Hand vor den Mund halten mussten. Wenn sie zu laut lachten, hätte ihre Mutter das sofort gehört. Fissinor fand es auch lustig. Seine Schwanzspitze kringelte sich so sehr, dass der Federball, der darauf steckte, quer durchs Zimmer flog und knapp an Lisas Ohr vorbeisauste.

„He, wo hast du die denn her?“ Lukas war verblüfft.

„Fissinor, das ist ja klasse!“ Lisa hüpfte vor Freude auf und ab.

„Ich hab sie schnell gesucht. Gummi stinkt, das finden Drachen immer. Wir haben eine gute Nase, noch besser als Hunde. Und gute Augen. Die weißen Federn leuchten außerdem im Dunkeln. Zwei lagen auf dem Garagendach nebenan, zwei in der Dachrinne gegenüber und drei im Gebüsch. Einer hing im Birnbaum.“

Draußen schien ein kleiner Sturm aufzukommen.

„Ich bin zu spät, muss los. Großvater war sauer, weil ich mich allein im Dunkeln rumgetrieben habe, aber ich hab ihm gesagt, dass ich euch geholfen habe“, erklärte Fissinor hastig.

„Danke, Fissi!“, rief Lisa schnell und umarmte ihn. Lukas hätte schwören können, dass Fissinors Ohren ein wenig rot wurden.

„Übrigens“, sagte Lukas schläfrig, als sie wieder im Bett lagen, „ich hab gelesen, es gibt jetzt auch Federbälle, die im Dunkeln leuchten!“

„Au ja, die wünsche ich mir zu Weihnachten“, sagte Lisa und war gleich darauf eingeschlafen. Sie träumte davon, wie sie einen leuchtenden Ball ganz hoch in den Himmel schlug, und auf einmal blieb er oben, so dass sie nicht mehr wusste, welches der Ball war und welches die Sterne. „Fissinor kann ihn suchen“, flüsterte sie im Schlaf.

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Weihnachten, Advent, Federball, Federball spielen, Weitwurf, Spielen

10. Dezember

Drachengeschichte für den 10. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderIn der Nacht kam der Frost und nachmittags schneite es. Fissinor musste erst ans Fenster klopfen, ehe Lukas ihm öffnete. Es war zu kalt, um es offen zu lassen. „Meine Flügel sind ganz steif!“, beklagte sich der kleine Drache.

Lisa legte ihm eine Decke um die Schultern.

„Jetzt siehst du aus wie ein kleines Gespenst!“

Fissinor schlug unter der Decke mit den Flügeln, wackelte mit dem Schwanz und hüpfte durchs Zimmer. Lukas krümmte sich vor Lachen.

„Klasse! Wir nehmen dich nächstes Jahr mit auf die Halloween-Party, da erkennt dich niemand, und ganz bestimmt gibt es kein großartigeres Gespenst!“

„Sieh mal“, sagte Lisa. Sie zeigte aufgeregt auf Fissinors Schnauze, die unter der Decke hervorsah. „Lächeln kann er jetzt auf jeden Fall!“

Fissinor schüttelte die Decke ab. „Ich hab auch geübt und die Muskeln trainiert, jeden Tag vorm Einschlafen!“, sagte er stolz.

„Das ist ja toll. Hier, koste mal.“ Lukas reichte Fissinor ein kleines Pfefferkuchenherz mit Schokoladenguss.

Fissinor schluckte verzückt. „Mmmh! Noch besser als Erdbeeren! Habt ihr noch mehr davon?“

„Heute nicht. Davon kann einem schlecht werden, wenn man zu viel isst!“, erklärte Lisa. „Darum gibt es sie auch nur in der Weihnachtszeit. Aber ich habe eine Erinnerung, die dazu passt.“

Fissinor rollte sich erwartungsvoll auf der Decke zusammen und hörte gespannt zu.

„Es war vor ein paar Jahren, da gab es auf einmal ganz ungewöhnlich viel Schnee“, erzählte Lisa. „Vater konnte nicht mehr mit dem Auto aus der Garage und musste den Schnee aus der ganzen Einfahrt wegschippen. Mama hat auch geholfen. Wir auch, aber wir waren noch zu klein und der Schnee zu schwer.“

„Lisa hat sich immer auf Vaters Schneeschippe gesetzt, da war die noch schwerer“, lachte Lukas.

Lisa kicherte. „Und dabei habe ich einen nassen Hosenboden bekommen. Jedenfalls hatten wir dann einen riesigen Schneehaufen im Hof, viel größer als Lukas und ich. Die Spitze war beinahe so hoch wie Vaters Schultern.“

„Und da hatte er eine tolle Idee. Erst hat er den Haufen mit der Schippe ganz festgeklopft. Und dann hat er an der Seite ein Loch reingeschnitten und den Haufen ausgehöhlt, und auf einmal hatten wir einen Iglu!“

„Wie eine Höhle?“, fragte Fissinor. Er kannte nur dunkle Höhlen und stellte sich vor, dass eine weiße sehr schön aussehen müsste.

„Genau. Da passten wir sogar beide rein, Lisa und ich. Und in der Nacht hat Vater Wasser darüber gekippt, das ist gleich gefroren, und so wurde der Iglu ganz hart und konnte nicht mehr einstürzen. Trotzdem durften wir nur rein wenn ein Erwachsener in der Nähe war, denn so was kann auch gefährlich werden“, sagte Lukas ernst.

„Mama hat uns einen alten roten Teppich gegeben, den haben wir da reingelegt, und dann war es total gemütlich“, erinnerte sich Lisa. „Es war ganz still innen, weil der Schnee die Geräusche verschluckt. Und wenn wir eine Weile drin saßen, wurde es auch ganz warm. Einmal haben wir im Dunkeln eine Lampe mit reingenommen, und da hat von außen der Iglu geleuchtet wie eine große Weihnachtskugel. Das war toll!“

„Leider gab es seitdem nie wieder so viel Schnee“, meinte Lukas.

Fissinor setzte sich auf. „So ein Leuchten hatten wir auch mal. Vielleicht war es dasselbe Jahr. Da war auch ganz tiefer Schnee, vor allem in den Bergen. Da hatten wir ein Winterfest. Die großen Drachen haben sich am Berghang verteilt und in den Schnee gewühlt, bis man sie nicht mehr sehen konnte. Und dann haben sie Feuer gespuckt. Da hat es überall durch den Schnee geleuchtet.“

„Uii, das hätte ich gern gesehen !“, rief Lukas.

„Klasse!“ Lisa war begeistert. „Aber unser Iglu war auch sehr schön. Sag mal, ist das dein Großvater?“

Der Wind rüttelte am geschlossenen Fenster. Lukas half Fissinor hinaus und machte schnell wieder den Riegel zu.

In dieser Nacht träumte Fissinor, seine Höhle wäre leuchtend weiß.

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Weihnachten, Advent, Halloween-Party, Iglu, Schnee, Gespenst

11. Dezember

Drachengeschichte für den 11. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Nanu – wie seht ihr denn aus? Ihr habt ja ein Fell an!“, wunderte sich Fissinor und sah von Lisa zu Lukas und zurück. Die beiden saßen angezogen auf ihren Betten und trugen ihre Winterjacken, die Plüsch an den Kapuzen und den Ärmeln hatten.

„Wir haben auf dich gewartet! Papa und Mama sind kurz ausgegangen, und da wollen wir dir was zeigen.“ Lukas zeigte nach draußen. „Wir treffen dich unten!“

Gespannt flog Fissinor vom Balkon nach unten und landete ordentlich vor der Tür.

Lukas und Lisa hatten eine Taschenlampe dabei.

„Ich kann doch auch Licht machen!“ Fissinor blies eine kleine Flamme, die einen lustig flackernden roten Schein auf den Schnee warf.

Lisa hielt ihm schnell die Hand vor die Schnauze. „Bist du verrückt, das sehen die Nachbarn! Wir dürfen doch gar nicht draußen sein!“

Beschämt hielt Fissinor die Luft an, bis die Flamme ausging. Lukas machte die Lampe auch lieber wieder aus. Zum Glück war der Mond hell genug. Sogar so hell, dass die Kinder sich fast vor ihren eigenen Schatten erschrocken hätten. Fissinors Schatten war besonders unheimlich. Manchmal sah er aus wie eine Schlange, manchmal wie eine große Fledermaus.

„Wo gehen wir hin?“, wollte Fissinor wissen.

„Sind schon da“, flüsterte Lukas. Ganz hinten im Garten gab es einen Abhang. Lukas stellte sich oben hin und zog ein großes weißes Bündel aus der Hosentasche. „Plastiktüten“, erklärte er und gab erst Lisa, dann Fissinor eine. Der schnüffelte erstaunt daran.

„Du musst dich draufsetzen!“, erklärte Lisa und machte es ihm vor. „Das geht prima, wenn man keinen Schlitten hat, und vor allem kann man immer eine Tüte in der Tasche haben.“

„Die besten Rutschbahnen findet man nämlich immer unterwegs, wenn man nicht damit rechnet“, ergänzte Lukas. „Guck mal, wie klasse das geht!“

Lisa saß auf ihrer Tüte und sauste kichernd den Abhang herunter. Lukas folgte ihr.

„Jetzt du!“ Die Kinder hielten die Tüte fest, während Fissinor sich darauf hockte. Dann gaben sie ihm einen kleinen Schubs.

„Huiii!“, jauchzte der kleine Drache und sein Schwanz kringelte sich so sehr vor Vergnügen, dass die Tüte sich immer wieder drehte und eine ziemlich schiefe Bahn fuhr. Aber umso lustiger war es!

„Rutschen Drachen denn nie?“, fragte Lisa.

„Ich habe von welchen gehört, die auf einem Gletscher gerutscht sind“, schnaufte Fissinor ganz außer Atem, „aber die sollen sich böse den Schwanz und das Hinterteil aufgescheuert haben.“

„Ich dachte, ihr habt so feste Schuppen“, meinte Lukas.

„Schon, aber auf der Unterseite sind wir empfindlich. Da ist so eine – wie sagt ihr? – schon viel besser.“

„Eine Plastiktüte“, half Lisa.

Sie rutschten eine ganze Weile auf dem Abhang herum. Manchmal hielten sie sich aneinander fest, so dass sie aussahen wie eine kleine Eisenbahn. Dann knipste Lukas kurz die Taschenlampe an und sah auf seine Armbanduhr. „Wir müssen rein! Sonst erwischen uns entweder Papa und Mama oder Fissinors Großvater.“

„Jetzt bin ich auch müde und meine Zehen sind kalt“, gestand Lisa.

„Mein Po auch!“, sagte Fissinor und Lisa musste lachen. Sie konnte aber im Dunkeln nicht sehen, ob Fissinor lächelte.

Fissinor sah zu, wie die Kinder im Haus verschwanden und flog dann schnell auf den Balkon, weil er das Brausen von Großvaters Flügeln schon hören konnte. Er war glücklich. Es war schön, mit Menschenkindern befreundet zu sein. Und er war sich sicher, dass er fast gelacht hatte. Ja, er hatte schon gespürt, wie das Lachen in seinem Hals steckte. Es war nur noch nicht ganz nach oben gekommen. Vielleicht ja nur, weil sein Hals länger war als der der Menschen.

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Weihnachten, Advent, Fell, Schnee, Schlitten, Schlitten fahren

12. Dezember

Drachengeschichte für den 12. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderAuch diesmal waren Lukas und Lisa nicht in ihren Betten, wie es sich eigentlich gehörte, als Fissinor das Fenster aufstieß und ins Zimmer hüpfte.

„Mach das Fenster bitte wieder zu“, sagte Lisa schnell, „das ist sonst so ungemütlich.“

Die Kinder hatten eine grüne Decke auf dem Boden ausgebreitet und ein paar dicke gelbe Kissen, auf denen sie saßen. In der Mitte lagen Dinge, die Fissinor nicht kannte. Aber sie dufteten. Da erkannte er doch etwas. „Lebkuchen!“

„Wir machen ein Picknick. Das ist eigentlich, wenn man Essen einpackt und einen Ausflug macht und dann unterwegs isst. Irgendwie schmeckt es draußen immer am besten. Aber wir dachten, für dich machen wir es einfach mal hier drinnen, weil es draußen so kalt ist“, sagte Lisa.

„Wir Drachen essen einfach immer da, wo wir was finden“, meinte Fissinor.

„Was esst ihr denn so?“ Bisher wussten die Kinder nur, dass die meisten Drachen kein Obst mochten.

„Och – Regenwürmer, Mäuse, manchmal einen Vogel. Und Pilze und Blätter und Wurzeln.“

Lisa rümpfte die Nase, aber Lukas stieß sie warnend mit dem Ellbogen an. Er fand auch nicht, dass sich das lecker anhörte, aber es wäre unhöflich gewesen, das zu sagen. Schließlich war Fissinor ein Drache und kein Mensch, auch wenn er sich wünschte, Lachen zu lernen.

„Probier mal das“, sagte er schnell und reichte Fissinor ein Brot mit Leberwurst. Obwohl Fissinor ja noch ein kleiner Drache war, war das ganze Brot mit einem Haps verschwunden.

„Oh, mmmh!“ Fissinor war begeistert.

„Und jetzt das.“ Lisa steckte ihm ein Stück Marmorkuchen in die Schnauze.

„Noch besser!“, sagte Fissinor ein wenig undeutlich.

„Und das?“ Lukas versuchte es mit einem Käsewürfel.

Fissinor kaute eine Weile darauf herum, sagte aber nichts. Wahrscheinlich dachte er dasselbe wie Lisa vorhin bei den Regenwürmern, wollte aber auch nicht unhöflich sein.

„Vielleicht eine Tomate“, meinte Lisa.

„Brrr!“ Fissinor schüttelte den Kopf so heftig, dass die Tomate durch das Zimmer flog und eilig unter Lukas‘ Bett verschwand.

„Aha! Gemüse ist auch nicht sein Ding!“ Lukas lachte. „Wie bei mir.“

„Dann das hier.“ Lisa hielt dem kleinen Drachen ein Würstchen hin. Fissinor schnupperte daran und biss schnell hinein.

„Genau richtig“, freute er sich und leckte sich die Schnauze. „Ach, und habt ihr vielleicht Fisch? Den gibt es bei uns fast nie, weil … na ja, Drachen essen eigentlich keinen Fisch. Genau wie Erdbeeren.“ Er sah ein wenig beschämt aus. „Aber ich mag ihn eben.“

„Hier – Rollmops!“ Lukas hielt etwas hoch.

„Wieso Mops? Ich esse keine Hunde!“ Fissinor schüttelte sich.

Lisa musste sehr lachen. „Das hab ich früher auch gedacht, dass ein Rollmops ein Hund ist. Aber Rollmops ist ein aufgerollter Fisch! Keine Sorge, der schmeckt.“

Also biss Fissinor in den Rollmops und stellte fest, dass Lisa recht hatte.

„Kann ich jetzt noch einen Lebkuchen haben, bitte?“

„Hier. Hoffentlich wird dir nicht schlecht nach dem Mischmasch.“ Lukas war ein wenig besorgt.

„Ich bin ein Drache. Wir vertragen ganz andere Sachen“, prahlte Fissinor, „sogar Lavasteine! Upps.“ Auf einmal musste er rülpsen und aus seinen Ohren und seinen ziemlich großen Nasenlöchern kamen vier kleine grünliche Rauchwolken. Lisa und Lukas mussten sehr lachen, nicht nur über die Rauchwölkchen, sondern auch weil Fissinor so überrascht aussah.

„Jetzt bin ich aber satt“, seufzte Lisa behaglich und rollte sich auf einem der dicken, gelben Kissen zusammen. „Lukas, weißt du noch, als wir letztes Jahr mit Papa auf der Birke das Picknick gemacht haben?“

„Ja, der Baum war ganz schräg, und deshalb konnte man gut hochklettern“, erinnerte sich Lukas. „wir haben uns oben jeder auf einen Ast gesetzt und da gegessen, das war toll. Wir hatten das Salz vergessen und Papa hat gesagt, man kann auch Zucker auf die Tomaten streuen. Das hat komisch geschmeckt, aber lecker.“

„Und in dem Sommer davor haben wir ein Lagerfeuer am Seeufer gemacht und Kartoffeln drin geröstet. Die waren ganz toll lecker, weil sie nach dem Rauch geschmeckt haben.“

Fissinor setzte sich auf. „Das machen wir auch! Wir blasen einen Feuerstrahl auf bestimmte Knollen, bis sie warm und weich sind.“

„Ganz schön praktisch, da braucht ihr gar kein Holz zu sammeln“, stellte Lukas fest. „Du, dein Großvater.“

Fissinor hatte das Brausen auch gehört und war schon auf dem Weg zum Fenster. „Mein Bauch ist so voll, ich weiß gar nicht, ob ich noch fliegen kann“, stöhnte er. „Danke für das Picknick! Jetzt weiß ich, wie Menschenkinder essen.“

„Hoffentlich bringt er das nächste Mal keine Regenwürmer mit“, dachte Lisa.

Aber Fissinor überlegte auf dem Heimweg, ob er den Kindern nicht von den besonders dicken Kartoffeln mitbringen sollte, die in Großtante Merfadonas Höhle lagerten.

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Weihnachten, Advent, Picknick, Lebkuchen, Fisch, Rollmops

13. Dezember

Drachengeschichte für den 13. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderIrgendetwas kitzelte ihn an den Fußsohlen. Lukas erschrak so sehr, dass er fast aus dem Bett gefallen wäre. Er riss die Augen auf und sah Fissinor, der empört aussah und irgendetwas sagte. Lukas konnte ihn allerdings nicht verstehen, denn er hatte Stöpsel in den Ohren. Hastig zog er sie heraus und schaltete seinen Mp3-Player aus.

„Du hast mich gar nicht gehört“, beschwerte sich Fissinor.

Lisa saß in ihrem Bett und grinste. „Das sag ich ihm auch immer.“

„Entschuldige. Aber die Musik war so schön. Willst du mal hören?“

Fissinor kam neugierig näher. Lukas steckte ihm die Stöpsel in die ziemlich großen Ohren. Fissinor hielt den Kopf schief und lauschte angestrengt, aber dann schüttelte er sich so doll dass die Stöpsel wieder heraus flogen.

„Gefällt dir das nicht?“ Lukas war erstaunt.

„Dann hört man ja die Welt nicht mehr“, meinte Fissinor.

„Eben“, sagte Lukas. „Ich höre nicht, wenn mir einer sagt, ich soll aufräumen. Ich höre den Krach auf der Straße nicht. Ich höre Lisa nicht, wenn sie ewig mit ihrer Freundin telefoniert. Ist doch prima.“

„Du hörst aber auch nicht, wenn Fissinor da ist!“ feixte Lisa.

„Macht ihr Drachen denn gar keine Musik?“, wollte Lukas wissen.

„Wozu denn? Die Vögel singen doch. Der Wind flüstert im Gras und rauscht auf dem Wasser. Die Bienen summen. Das Eichhörnchen schimpft. Der Kuckuck ruft. Das Kaninchen scharrt in der Erde. Die Blumen wachsen….“

„Du kannst hören, wenn die Blumen wachsen?“, staunte Lisa.

„Ja, wenn man das Ohr dranhält, hört man wie die Stängel aus der Erde kommen. Es ist ein ganz leises Geräusch, aber schöner als Musik!“ Fissinors Augen leuchteten. „Mit Stöpseln in den Ohren kann man sowas natürlich nicht hören.“

„Also, Musik ist aber auch schön! Vielleicht hat dir nur die Band nicht gefallen.“ Lukas sprang aus dem Bett und winkte Fissinor in eine Ecke. „Halt mal Dein Ohr an diesen Lautsprecher. Ich kann das jetzt nur ganz leise machen, sonst hört Mama uns.“ Er kramte eine Weile in der Schublade und legte dann eine CD ein. Fasziniert betrachtete Fissinor die glänzende Scheibe, die sich hinter der durchsichtigen Abdeckung so schnell drehte dass ihm ganz schwindlig wurde.

Leise erklang „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ und dann „Stille Nacht.“ Fissinor spitzte die Ohren und rutschte noch näher an den Lautsprecher.

„Du lächelst!“, sagte Lisa und zeigte auf Fissinors Mundwinkel, die sich eindeutig nach oben bogen. „Es gefällt dir!“

„Es ist schön“, gab Fissinor zu. „Es macht irgendwie … glücklich.“

„Siehste“, sagte Lukas.

„Aber in deinen Stöpseln war nur Krach!“

„Weißt du“, erklärte Lisa, „Verschiedene Musik macht eben verschiedene Menschen glücklich.“

„So wie Erdbeeren und Rollmops“, ergänzte Lukas. „Du magst sie. Andere Drachen lachen dich deswegen aus. Jetzt lachst du mich wegen meiner Musik aus.“

„Entschuldigung“, sagte Fissinor kleinlaut.

„Macht nichts – ich mag dafür auch keinen Rollmops“, lachte Lukas.

„Spiel noch ein Lied“, bat Fissinor.

„Au ja“, sagte Lisa, die Weihnachtslieder auch gerne mochte. Und so hörten sie noch „Leise rieselt der Schnee“ und „Ihr Kinderlein kommet“, und fast hätten sie Fissinors Großvater überhört. Der musste draußen laut mit den Flügeln schlagen, ehe Fissinor eilig zu ihm hinauskletterte.

Auf dem Heimweg versuchte Fissinor, vor sich hinzusummen, denn die Melodie von „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ spukte ihm noch im Kopf herum. Aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Ein Drache ist eben kein Singvogel, auch wenn er fliegen kann.

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Weihnachten, Advent, Musik, Mp3-Player, Rollmops

14. Dezember

Drachengeschichte für den 14. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Psst“, sagte Lukas als Fissinor zum Fenster hereinkrabbelte. Er zeigte auf Lisa. Sie saß im Bademantel an ihrem Schreibtisch und kritzelte angestrengt in ein Heft. „Sie hat vergessen, ihre Hausaufgaben in Mathe zu machen.“

„Was ist Mathe?“

„Was Unangenehmes“, meinte Lukas.

„Mir macht es Spaß“, sagte Lisa. „Bin gleich fertig. Mathe ist, wenn man zählen kann.“

„Wozu muss man … zählen?“, fragte Fissinor.

Lukas dachte nach. „Na ja, sonst weiß man zum Beispiel nicht, ob man wirklich drei Kugeln Eis bekommen hat oder nur zwei.“

„Was ist Eis?“

„Du lieber Himmel“, seufzte Lukas, „das zeigen wir dir im Sommer. Es schmeckt noch besser als Erdbeeren.“

Lisa klappte ihr Heft zu. „Zählen ist doch lustig. Weißt du zum Beispiel, wie viel Zacken du auf deinem Rücken hast?“, fragte sie Fissinor.

„Nein – ist das wichtig?“ Der kleine Drache war besorgt.

„Quatsch“, meinte Lukas, „warum soll das wichtig sein?“

„Ich möchte es aber gerne wissen.“ Lisa fing an zu zählen.

„Sie ist einfach nur neugierig“, sagte Lukas zu Fissinor. „Findest du das höflich, Lisa? Was würdest du sagen, wenn jemand anfängt, die Haare auf deinem Kopf zu zählen?“

Lisa kicherte. „Da hätte der aber lange zu tun. Fissi, du hast neunzehn Zacken. Ist das bei allen Drachen so?“

„Weiß nicht.“

„Habt ihr denn keine Schule, wo ihr so was lernt?“

„Was ist Schule?“

„Der hat es gut“, meinte Lukas.

„Schule ist ein Haus, wo alle Kinder ein paar Stunden am Tag hingehen müssen, um ganz viel zu lernen.“

„Ihr lernt nur ein paar Stunden am Tag?“, fragte Fissinor erstaunt. „Wir lernen den ganzen Tag. Wenn man lebt, lernt man immer, sagt Großvater. Ihr habt mir doch auch beigebracht, wie der Mond aussieht und wie man auf einer Tüte rutscht.“

„Wo sind eigentlich deine Eltern?“, fragte Lukas. „Du redest immer nur von deinem Großvater.“

„Meine Eltern sind viel unterwegs. Die machen lange Reisen in die Berge, treffen sich mit anderen Drachen und kümmern sich um wichtige Drachenangelegenheiten. Bei uns passen die Großeltern auf die Kinder auf, weil sie nicht mehr so weit fliegen können. Außerdem wissen sie am meisten und sollen das Wissen weitergeben. Dabei zählen wir aber nicht die Stunden und ein Extrahaus brauchen wir auch nicht.“

„Wie alt werden denn Drachen? Stimmt es, dass sie mehrere hundert Jahre alt werden?“

„Ja.“

„Siehste, dann zählen sie doch auch!“, rief Lisa triumphierend.

„Und dann ist es auch kein Wunder, dass sie so weise sind, dass sie keine Schulen brauchen“, meinte Lukas. „Aber da du kein Drache bist, Lisa, pack lieber deine Matheaufgaben in die Schultasche, sonst vergisst du sie morgen.“

„Stimmt.“ Lisa stopfte das Heft in ihre Mappe und krabbelte ins Bett. „Ganz schön kalt! Ich wette, es gibt morgen wieder Schnee.“

„Kann sein. Es riecht danach“, meinte Lukas und schnupperte hinaus, als er das Fenster für Fissinor öffnete. Vielleicht kam der kalte Wind aber nur von den großen Schwingen des uralten Drachen, der seinen Enkel abholte.

Auf dem Heimweg überlegte Fissinor, ob Lisa es wohl schon einmal geschafft hatte, die Sterne zu zählen.

***

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15. Dezember

Drachengeschichte für den 15. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-AdventskalenderLukas‘ Nase hatte sich nicht geirrt. In der Nacht schneite es. Auch am Vormittag hörte es nicht auf. Die Zwillinge saßen in der Schule und sahen sehnsüchtig zum Fenster hinaus, genau wie alle anderen Kinder in der Klasse. Endlich kam die letzte Stunde und die Lehrerin war so nett, fünf Minuten eher Schluss zu machen. „So viel Schnee haben wir schließlich nicht oft“, meinte sie.

Auf der Straße veranstalteten alle eine Schneeballschlacht. Als Lukas und Lisa endlich zuhause waren, hatten sie vom Herumtoben in der Schneeluft einen großen Appetit. „Wollen wir einen Schneemann bauen?“, fragte Lisa beim Mittagessen.

„Klar“, sagte Lukas, „unbedingt! Aber einen richtig großen!“

„Ich kann euch aber nicht helfen“, sagte der Vater, „Ich muss den ganzen Nachmittag ins Büro, arbeiten.“

„Leider muss ich auch weg, einkaufen“, meinte Mutter.

„Ach, das schaffen wir schon. Gibst du uns eine Mohrrübe und den alten Schal und Hut?“

Bald rollten die Zwillinge angestrengt eine Schneekugel vor sich her, die sehr schnell größer wurde. Sie reichte ihnen schon bis zum Gürtel.

„Ich glaub, das reicht“, schnaufte Lukas. „Jetzt wird er zu schwer. Und die anderen beiden Kugeln müssen ja auch noch obendrauf!“

„Ein … bisschen … geht … noch …“, japste Lisa und schob mit aller Kraft, aber die Kugel rührte sich nicht mehr.

„Psst“, macht es da hinter dem Fliederbusch. „Seid ihr allein?“

„Fissinor! Was machst du denn schon hier?“, riefen die Zwillinge gleichzeitig.

„Ich wollte sooo gern mit Euch im Schnee spielen. Großvater hat es erlaubt. Er findet, für Menschenkinder seid ihr ganz in Ordnung.“

„Unsere Eltern sind nicht da. Gut dass du kommst, du kannst uns helfen.“

„Was macht ihr da?“

„Das wird ein Schneemann. Wenn du mithilfst, können wir die Kugel noch bis dahin rollen!“ Lukas zeigte auf einen kleinen Hügel vor einem Tannenbaum.

„Ein Mann aus Schnee? Ich kenne nur Felsenmännchen.“

„Was ist das denn?“, wollte Lisa wissen.

„Das kann er uns später erzählen. Erst der Schneemann!“, sagte Lukas entschieden und drückte mit aller Kraft gegen die Kugel. Lisa und Fissinor stellten sich rechts und links daneben und lehnten sich auch mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Kugel. Fissinor war zwar ein kleiner Drache, aber er hatte viel Kraft, weil er sich mit seinem langen Schwanz abstützen konnte. Zu dritt schafften sie es tatsächlich, die Kugel bis zu dem Baum zu rollen. Auf dem Weg wurde sie noch ein ganzes Stück größer.

„Klasse!“, sagte Lukas zufrieden. „Und jetzt machst du noch eine kleine Kugel, Fissinor, das wird der Kopf, und Lisa und ich machen die mittlere Kugel.“

Fissinor war schnell fertig, aber die mittlere Kugel wurde am Ende fast genauso groß wie die erste und der kleine Drache musste auch dabei wieder helfen.

Allerdings wussten sie nicht, wie sie die zweite Kugel auf die erste bekommen sollten. Sogar zu dritt konnten sie sie nicht anheben.

„Das geht nicht“, sagte Lisa bekümmert.

„Wartet, ich hab eine Idee.“ Lukas verschwand im Geräteschuppen, in dem Vater die Laubharke und die Schubkarre und allerhand Zeug aufbewahrte. Er polterte eine Weile darin herum und kam mit einem langen Brett wieder. Ein Ende legte er auf den Boden und eins auf die erste Schneekugel.

„So, jetzt rollen wir die zweite Kugel da hoch!“

Wieder mussten sie alle drei anpacken. Ein paar Mal wäre die Kugel fast vom Brett gefallen, aber schließlich ging es tatsächlich.

„Jetzt muss ich wohl noch die Leiter holen, um die dritte Kugel draufzusetzen“, meinte Lukas.

„Nö“, sagte Fissinor, „ich kann doch fliegen!“

Die kleinste Schneekugel war zwar auch nicht gerade leicht und ziemlich glitschig, aber er schaffte es, sie mit beiden Vorderpfoten zu umklammern und gerade hoch genug zu flattern um dem Schneemann seinen Kopf aufzusetzen.

„Donnerwetter“, sagte Lisa, „das ist ein ganz schön großer Schneemann. Vater wird staunen.“

„Komm her“, sagte Lukas und gab ihr die Mohrrübe und ein paar Kohlen. „Ich heb dich hoch, und du kannst ihm seine Nase und Augen und Mund geben.“

Lisa tat es und setzte auch noch den Hut obendrauf und wickelte den Schal um den Schneehals.

„Der gefällt mir“, sagte Fissinor. „Der ist noch schöner als unsere Felsenmännchen.“

„Aber wenn es warm wird, schmilzt er leider“, sagte Lukas. „Was denn nun für Felsenmännchen?“

„Wenn Drachenkinder sich in den Bergen treffen, dann versuchen wir manchmal, wer das größte Felsenmännchen bauen kann. Wir suchen Steine und stapeln sie aufeinander, genau wie wir gerade die Schneekugeln. Aber die Steine schmelzen ja nicht. Und wenn wir ein paar Jahre später wieder an den Ort kommen, versuchen wir, ob wir inzwischen einen größeren schaffen. Soll ich einen neben den Schneemann bauen?“

„Lieber nicht!“, sagte Lisa erschrocken. „Das mit dem Brett glaubt uns Vater – aber einen Steinmann bestimmt nicht.“

„Ich glaub, ich hab sein Auto gehört“, sagte Lukas.

„Dann tschüss!“, schon war Fissinor verschwunden.

Die Eltern der Zwillinge bewunderten den schönen großen Schneemann sehr. Und der Schneemann stand da und lächelte und erzählte nichts davon, dass ein kleiner Drache geholfen hatte, ihn zu bauen.

***

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16. Dezember

Drachengeschichte für den 16. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Was macht ihr da?“

Die Zwillinge waren so beschäftigt, dass sie nicht bemerkt hatten, wann Fissinor hereingekommen war. Sie lagen im Schlafanzug auf dem Teppich und probierten die neuen Buntstifte aus, die im Nikolausstiefel gewesen waren. Lukas malte an einem riesengroßen Dampfer, und Lisa an etwas Grünem auf einer Blumenwiese.

„Wir malen“, erklärte Lisa, „siehst du doch! Malt ihr Drachenkinder nicht?“

„Naja … manchmal. Nicht gut. Was soll denn das Grüne sein?“

„Wahrscheinlich ein Grashüpfer“, vermutete Lukas.

„Nein, kein Grashüpfer! Guck richtig hin!“ Lisa war ein kleines bisschen beleidigt. „Das ist viel zu groß für einen Grashüpfer!“

Lukas und Fissinor starrten angestrengt auf das Bild.

„Die Wiese ist schön bunt“, sagte Fissinor vorsichtig.

Lukas fing an zu lachen.

„Jetzt weiß ich! Das sollst du sein, Fissinor!“

Ja, jetzt sah es der kleine Drache auch. Das grüne Ding hatte ja einen Hals mit Zacken, und Flügel und einen Schwanz. „Aber so dick bin ich doch nicht. Das sieht mehr aus wie Großtante Merfadona wenn sie zu viel Mäuseknödel gegessen hat.“

Jetzt musste auch Lisa lachen, und Fissinor freute sich.

„Naja, ein bisschen rund ist es schon geworden“, gab sie zu. „Lukas kann besser malen.“

Das Schiff auf Lukas‘ Bild sah wirklich großartig aus. Auf dem Deck hingen Lampions und kleine Menschen tanzten darunter. Aus dem Schornstein kam eine Wolke. Hinter dem Schiff war eine große Welle zu sehen, über der Möwen flogen. Beinahe konnte man sie kreischen hören, so lebendig war das Bild.

„Ich habe schon Schiffe gesehen“, sagte Fissinor sehnsüchtig. „Aber ich war noch nie auf einem drauf. Manchmal schleiche ich mich an den Strand. Eigentlich ist das nicht erlaubt.“

„Ja, du hast ja erzählt, dass kleine Drachen nicht ins Wasser sollen. Dürfen denn große Drachen das?“

„Die meisten Drachen sind wasserscheu, weil es nicht gut für das Feuer ist. Deswegen mögen sie auch keinen Fisch. Aber ich, ich mag es eben. Ich sehe gern den Wellen zu …“

„Und du magst Fisch. Und Erdbeeren. Ich glaube, du bist ein ungewöhnlicher kleiner Drache!“, stellte Lisa fest.

Fissinor ließ beschämt die Ohren hängen.

„Nein, nein“, sagte Lisa schnell. „Das ist doch nicht schlimm! Im Gegenteil, das heißt, du bist ein ganz besonderer Drache!“

Beruhigt stellte Fissinor die Ohren wieder auf. „Ich war noch auf keinem Schiff, aber ich bin mal auf einem Walfisch gelandet!“

Lukas ließ vor Staunen den Stift fallen und auf der Seite des Dampfers entstand ein Fleck. „Du bist was?

„Ich wollte nur ein Stück am Strand entlang fliegen, aber da kam ein Wind. Der war auf einmal ganz doll und hat mich über das Wasser getrieben. Und dann wurde ich müde und wollte mich auf einem Stein ausruhen, der aus dem Wasser sah. Aber der Stein war weich und hatte ein Auge. Da fiel mir ein, was Großvater mir von den Walfischen erzählt hat. Aber ich dachte, das wäre ein Märchen.“

Lisa hörte mit offenem Mund zu. „Hattest du nicht schreckliche Angst?“

„Ich hatte noch mehr Angst davor, ins Wasser zu fallen“, meinte Fissinor. „Der Walfisch sah eigentlich ganz nett aus. Ich glaube er hat mich gar nicht bemerkt. Er ist eine Weile geschwommen und als der Wind aufgehört hat, bin ich schnell an Land geflogen.“

„Donnerwetter!“, sagte Lukas. „Hier, möchtest du was malen?“

„Nee, lieber nicht …“

„Doch, zeig mal!“ Lisa drückte ihm einen Stift in die Pfote. „Komischer als mein Bild kann es ja bei dir auch nicht aussehen.“

Eine Weile malten sie alle drei. Dann sah Lisa auf Fissinors Bild. Dort waren ein paar Tiere zu sehen, von denen man nicht genau wusste ob es Pferde, Kühe oder Rehe waren. Ein paar Menschen waren auch dabei. Sie waren alle nur aus Strichen und sahen irgendwie seltsam aus, aber auch sehr lebendig.

„He, Lukas!“, rief Lisa. „Guck mal!“

Lukas guckte. „Das ist ja …“, rief er und sauste wieder einmal zum Regal. Er schlug ein Bild in einem dicken Buch auf und hielt es neben Fissinors Zeichnung.

Die beiden Bilder sahen beinahe gleich aus.

„Höhlenmalerei!“, staunte Lukas. „Du malst genau wie die Höhlenmenschen vor vielen tausend Jahren!“

„Höhlenmenschen? Menschen?“ Fissinors Schwanzspitze kringelte sich. Seine Mundwinkel bogen sich nach oben. Und dann hörte man ein kleines, ungewohntes Geräusch.

„Er lacht! Fissinor, du hast gelacht!“ Lisa sprang vor Freude auf und ab und fiel ihm um den Hals.

Fissinor riss vor Staunen die Augen auf und verstummte. Aber es gab keinen Zweifel.

„Ja, er hat gelacht“, stellte auch Lukas fest. „Zumindest ein bisschen. Aber – warum? Was ist denn an Höhlenmenschen komisch?“

Fissinors Schwanzspitze kringelte sich schon wieder. „Das waren keine Höhlenmenschen“, erklärte er. „Solche Bilder malen nur Drachen!“

„Uiih. Dann haben die Forscher das wohl nicht gewusst.“ Lukas staunte. Aber eigentlich klang es irgendwie logisch. Drachen gab es ja schon viel länger als Menschen. Und sie wohnten in Höhlen. Und nun hatte er ja selbst gesehen, wie Drachen malen.

Das Fenster klapperte ungeduldig im Wind. Fissinor kletterte hastig hinaus.

„Hier“, sagte Lisa und schob ihm eine Rolle Paper in die Pfote. „Ich schenk dir mein Bild, dann hast du zuhause auch was zu lachen!“

***

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Weihnachten, Advent, Bild, Malen, Höhlenmenschen, Schiff

17. Dezember

Drachengeschichte für den 17. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„He, wacht auf!“ Fissinor stupste Lisas Ohr vorsichtig mit seiner warmen Schnauze an. „Wieso schlaft ihr schon?“

Lukas gähnte. „Wahrscheinlich weil wir den ganzen Nachmittag so fleißig in der Küche waren.“

„Ja, genau, wir haben ein ganzes Haus gebaut! Schau mal!“ Lisa zeigte auf ein Gebilde, das auf einem kleinen Tisch stand. Es schimmerte geheimnisvoll, denn es war ganz in Zellophanpapier gehüllt.

„Lukas, mach bitte das Papier ab, damit Fissinor alles sehen kann!“

Vorsichtig nahm Lukas die Hülle ab. „Die muss aber nachher wieder drauf, damit alles frisch bleibt bis Weihnachten.“

„Mmmh … riecht nach Pfefferkuchen!“ Fissinor leckte sich die Schnauze.

„Nein, nein“, sagte Lisa hastig. „Das ist nur zum Angucken. Essen darf man es erst an Weihnachten!“

„Wir gut, dass ich die Reste aufgehoben habe“, lachte Lukas und steckte Fissinor ein Extrastück Lebkuchen in die Schnauze. Es war ein wenig zerdrückt, weil es in Lukas‘ Hosentasche gewesen war, aber das war Fissinor egal.

„Jetzt guck dir endlich das schöne Häuschen an!“ drängte Lisa.

Tatsächlich, die Kinder hatten ein ganzes Haus aus Pfefferkuchen gebaut. Und das Schönste war, es war ganz wundervoll dekoriert. Die Dachziegel waren aus Bonbons und Schokoladenplätzchen, die Fensterläden aus Gummibärchen und in den Fenstern waren Scheiben aus durchsichtiger roter Gelatine. An der Dachkante hingen lange Eiszapfen aus Zuckerguss. Um das Haus herum gab es sogar einen Garten. Ein Weg aus Pfefferminzplätzchen führte zur offenen Tür. Es gab einen See aus blauem Zuckerguss mit Marzipanenten darauf, und ein Blumenbeet, in dem Lutscher wuchsen. Außen herum war ein Zaun aus Schokoladenstangen und Schnüren, die in Zucker getaucht waren. Sogar ein Schneemann aus weißen Negerküssen stand da!

„Und wer ist das?“ Fissinor zeigte auf die gebeugte Figur mit der krummen Nase, die in der Tür stand.

„Das ist natürlich die Hexe! Das ist doch ein Hexenhaus!“ lachte Lisa. „Wie in Hänsel und Gretel.“

„Wer ist Hänsel und Gretel? Ich dachte, das seid ihr!“ Fissinor zeigte auf die beiden Kinder, die im Garten neben dem Zuckergussteich standen.

„Die sehen uns wirklich ähnlich“, stimmte Lukas zu. „Hänsel und Gretel ist ein Märchen für Menschenkinder. Irgendwann können wir es dir ja mal erzählen.“

„Ich mag die Hexe gar nicht“, gestand Lisa. „Aber sie gehört eben dazu.“

„Eigentlich könnten wir sie nächstes Jahr auch auf dem Dachboden lassen“, meinte Lukas. „Dann ist es eben unser Haus.“

„Au ja!“, freute sich Lisa.

„Und warum darf man das erst an Weihnachten essen? Es riecht doch so gut!“ Fissinor fand den Geruch von Lebkuchen, Zuckerguss, Pfefferminz und Schokolade wirklich sehr schön.

„Damit es noch eine Weile schön aussieht. Außerdem gehört das zu Weihnachten, dass das Hexenhaus neben dem Baum steht und duftet und dass man während der Bescherung und an den Weihnachtsfeiertagen immer mal ein Stückchen naschen darf.“

„Aha, so ähnlich wie bei uns die Eispilze.“

„Was sind Eispilze?“, fragte Lisa.

Lukas deckte inzwischen sorgfältig das Zellophanpapier wieder über das Hexenhaus, damit es nicht austrocknete und kein Staub darauf landete.

„Die großen Drachen fliegen Anfang Dezember in den Norden und sammeln sie. Sie sind rund und ganz weich und schmecken sehr lecker, und sie wachsen im Eis. Die Menschen wissen nichts davon, und auch kein Tier. Nur die Drachen können das dicke Eis schmelzen und sie herausholen. Sie bringen sie nach Hause und dann werden sie in einer kalten Höhle gelagert bis zum Feuerfest. Vorher darf niemand sie anrühren. Beim Feuerfest werden sie dann auf Stöcke gespießt und von den Drachen mit Feuer bespuckt, bis sie braun und heiß sind und ganz lecker nach Rauch schmecken.“

„Das klingt nicht schlecht“, fand Lukas. „Du musst uns unbedingt noch mehr über das Feuerfest erzählen. Aber morgen. Jetzt bin ich wirklich hundemüde.“

Draußen rauschte auch schon Kumulors Flügelschlag.

Fissinor stellte sich auf dem Heimweg vor, wie es wäre, in einem ganz großen Lebkuchenhaus zu wohnen. Den Duft hatte er immer noch in der Nase.

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Weihnachten, Advent, Pfefferkuchen, Hexenhaus, Eispilze, Hänsel und Gretel

18. Dezember

Drachengeschichte für den 18. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Iiih!“ Fissinor war auf etwas Stacheliges getreten. „Was ist das denn?“

„Verzeihung“, sagte Lukas. „Das ist ein Adventsgesteck.“

Jetzt sah Fissinor, dass es ein Tannenzweig war, auf dem eine Art Walze steckte.

„Wir möchten so gerne mal sehen, wie du Feuer machst. Kannst du diese Kerze anzünden?“, bat Lisa.

„Hauptsache, Mama merkt das nicht“, brummelte Lukas, dem nicht wohl bei der Sache war. Natürlich war es den Kindern streng verboten, ohne Aufsicht im Zimmer ein Streichholz anzuzünden.

„Wir nehmen ja gar kein Streichholz und auch kein Feuerzeug“, meinte Lisa pfiffig. „Drachen hat uns niemand verboten. Außerdem, warum soll sie was merken? Wir sind doch leise. Bis jetzt hat sie auch nichts gemerkt.“

„Was ist eine Kerze?“, fragte Fissinor, der ratlos an der Kerze herumgeschnüffelt hatte. Sie roch nach Honig. „Sind da Bienen drin?“

Lisa lachte. „Nein, die ist nur aus Bienenwachs. Hast du etwa Angst vor Bienen?“

„Ja, eine hat mich mal ins Ohr gestochen“, gab Fissinor zu. „Drachenohren sind schrecklich empfindlich.“

„Kerzen sind wie ganz kleine Feuer“, erklärte Lukas. „Guck, du musst nur hier die kleine schwarze Schnur anzünden. Aber vorsichtig.“

„Nimm die Kerze lieber von dem Tannenzweig runter, sonst brennt der auch noch.“ Lisa hatte plötzlich auch Bedenken. Schließlich war Fissinor noch ein sehr kleiner Drache, und er hatte ja erzählt, dass kleine Drachen das mit dem Feuerspucken noch nicht so gut können.

Lukas nahm die Kerze und stellte sie auf einem Teller auf den Boden, weit weg vom Tannenzweig. „So, nun schieß los!“

Fissinor holte tief Luft und konzentrierte sich. Schließlich wollte er sich nicht blamieren. Er pustete. Zuerst kam nur ein Rauchstrahl dabei heraus und die Kerze verschwand für einen Moment im Nebel.

„Auweia“, sagte Lukas und machte schnell das Fenster auf. „Wenn Mama das riecht!“

„Drachenrauch stinkt nicht!“, sagte Fissinor ein wenig beleidigt.

Lisa schnupperte. „Stimmt“, sagte sie, „man riecht überhaupt nichts!

Fissinor konzentrierte sich noch mehr und pustete wieder. Ein kleiner Feuerstrahl erschien, aber er ging weit rechts an der Kerze vorbei und traf beinahe den Vorhang.

„Ich glaube, das lassen wir lieber“, meinte Lukas.

„Ach was, Fissi kann das!“ behauptete Lisa.

„Schon, aber es ist viel zu gefährlich!“

„Es zieht, da kann ich nicht treffen!“ beklagte sich Fissinor.

Lukas schloss das Fenster wieder.

Die Kinder hielten den Atem an und trauten sich nicht, sich zu bewegen.

Fisiinor gab sich solche Mühe, dass er die Augen schloss.

„Mach lieber die Augen auf“, wollte Lisa gerade sagen. Doch da kam ein schnurgerader Feuerstrahl aus Fissinors Maul, nicht zu groß und nicht zu klein. Er traf ganz genau den Kerzendocht!

„Stopp! Sie brennt! Es hat geklappt!“, rief Lisa und klatschte vor Freude in die Hände.

„Psst!“, warnte Lukas. Er schaltete das Licht aus. Andächtig blickten alle drei auf das kleine, aufrechte Leuchten der Flamme. Fissinor war selbst ein wenig überrascht, dass er das tatsächlich geschafft hatte.

Lisa begann ganz leise „Alle Jahre wieder“ zu singen. Lukas stimmte ein und sogar Fissinor brummte ein klein wenig mit.

Als sie draußen Fissinors Großvater heranfliegen hörten, pustete Lisa die Kerze schnell aus.

Auf dem Heimweg war Fissinor sehr glücklich. Er hatte ein Licht angezündet, ganz allein! In dieser Nacht träumte er von der kleinen Flamme. Sie wurde zu einem Glühwürmchen, das ganz hoch in den Himmel flog, bis zu den Sternen.

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Weihnachten, Advent, Feuer, Feuerspucken, Drachen, Adventsgesteck, Kerze

19. Dezember

Drachengeschichte für den 19. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Erzähl uns, wie ihr das Feuerfest feiert“, bat Lisa.

Fissinor lag behaglich zusammengerollt auf ihrem Bett und ließ sich von Lisa hinter den Ohren kraulen. Es ist schwierig, Drachen zu kraulen, weil sie ja kein Fell haben, sondern harte Schuppen. Aber Fissinor fand es trotzdem schön. Und dann war da noch die Stelle am Ansatz seiner Flügel. Immer wenn die wieder ein Stück wuchsen, juckte es da.

Jetzt setzte Fissinor sich auf. „Na ja, es beginnt zur Sonnenwende. Alle Drachen aus der Gegend versammeln sich auf einer bestimmten hochgelegenen Lichtung im Wald, wo es auch einige Höhlen zum Übernachten gibt. Und alle bringen Holz mit und stapeln einen riesengroßen Haufen auf.“

„Ein Sonnwendfeuer!“, sagte Lukas. „Menschen machen das auch manchmal.“

„Ja. Wenn es dunkel wird, setzen sich alle in einen Kreis und dann darf einer nach dem anderen mit seiner Flamme ein Stück Holz anzünden. Auch wenn das Feuer längst brennt, jeder fügt seine Flamme hinzu, wenn er es schon kann“, erzählte Fissinor weiter und dachte stolz, dass er dies Jahr zum ersten Mal richtig mitmachen konnte. Schließlich hatte er ja auch die Kerze angezündet. „Dann gehen alle schlafen und nur ein paar hüten das Feuer. Am zweiten Tag gibt es Spiele wie zum Beispiel Felsenmännchen bauen oder Hölzer werfen. Und wenn es wieder dunkel wird, holen die großen Drachen die Eispilze aus der Höhle.“

„Die, die sie im Norden gesammelt haben und die man vorher nicht kosten darf?“ Lisa fiel ein, was Fissinor vor ein paar Tagen erzählt hatte.

„Ja, genau die. Sie werden auf lange Stöcke gesteckt und dann zeigen die besten Feuerspucker, wie genau sie die Pilze grillen können, bis die schön weich und goldbraun sind. Dann werden sie verteilt.“ Fissinor leckte sich die Schnauze. Letztes Jahr hatten die Eispilze wirklich sehr lecker geschmeckt.

„Und was macht ihr am dritten Tag?“ Lukas erinnerte sich, dass Fissinor erzählt hatte, das Fest dauere drei Tage.

„Da werden Geschichten erzählt. Abenteuer, die die Drachen in alten Zeiten und auf Reisen erlebt haben“, berichtet Fissinor. „Das ist gemütlich. Alle sind ein bisschen müde vom Feiern und liegen herum und hören zu. Das Feuer brennt dabei langsam herunter. Und man fängt an, sich darauf zu freuen, dass die Tage wieder länger und heller werden und der Frühling bald wieder kommt.“

„Das hört sich nach einem sehr schönen Fest an“, meinte Lisa. „Aber bekommt ihr denn nichts geschenkt?“

Fissinor war erstaunt. „Wieso? Hab ich doch gerade erzählt. Wir bekommen Eispilze und Geschichten und Spiele, und alle sind zusammen.“

„Stimmt“, sagte Lukas, „das sind schöne Geschenke, und eigentlich ist es bei unserem Weihnachten ganz ähnlich. Wir zünden am Baum ja auch kleine Feuer an. Wir essen zwar keine Pilze, aber Gans und Klöße und Süßigkeiten. Wir machen auch Spiele und erzählen Geschichten. Was findest du am schönsten an Weihnachten Lisa?“

Lisa dachte nach. „Den Baum“, sagte sie schließlich entschieden. „Den Weihnachtsbaum, wenn die Kerzen leuchten und das Lametta glitzert. Mein Lieblingsengel aus silberner und blauer Folie sieht dann aus, als ob er zwischen den Zweigen umherfliegt. Und die Strohsterne machen tolle Schatten an die Wand, wenn sie sich an ihrem Faden im Luftzug drehen, immer wenn Papa vorbeigeht um vom bunten Teller zu naschen. Und es ist ganz still und feierlich. Ja, der Baum ist das Schönste.“

„Geht mir genauso“, sagte Lukas.

Als Fissinor nach Hause flog, sah er neben der Kirche einen ganz hohen Weihnachtsbaum leuchten. Da brannten zwar künstliche Lichter und keine echten Kerzen daran, aber es hingen Kugeln an den Ästen, die alle wie ein kleiner silberner Mond aussahen. „Ja, ein Weihnachtsbaum ist etwa sehr Schönes“, dachte er. „Aber ich freue mich auch auf unser Feuerfest. Und dies Jahr kann ich sogar das Feuer mit anzünden!“

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20. Dezember

Drachengeschichte für den 20. Dezember

© Patricia Koelle

Patricia Koelle: Drachengeschichten-Adventskalender„Fissi, was ich dich noch fragen wollte“, sagte Lisa am nächsten Abend, „Wenn ihr zu Weihnachten Geschenke bekommen würdet, ich meine, solche außer Geschichten und Eispilzen, was würdest du dir wünschen?“

„Dass die anderen Drachen auch lachen lernen, so wie ich. Obwohl, bei dir klingt es ja viel schöner. Aber es macht Spaß, zusammen zu lachen.“

„Und was noch?“ Lukas war jetzt auch neugierig.

„Dass ich richtig schwimmen lernen darf. Und Fisch essen ohne dass mich jemand auslacht. Ich möchte groß werden und stark, so dass ich ganz weit in der Welt herum fliegen kann wie meine Eltern.“

„Wo würdest du denn dann hinfliegen?“ Lukas stellte sich vor, wie es wäre, große Flügel zu haben und ohne Flugzeug Reisen zu machen.

„Ich würde mir alle Meere ansehen, im Süden und im Norden, einfach alle. Vielleicht können Drachen sogar tauchen lernen.“

„Na, ob das dann noch klappt mit dem Feuerspucken? Sei lieber vorsichtig“, sagte Lisa.

„Ja, und du könntest sehr leicht ertrinken, wenn die großen Wellen deine Flügel packen“, warnte Lukas.

„Es ist ja auch nur ein Wunsch“, seufzte Fissinor.

„Immerhin kannst du jetzt Feuer machen und Schneemänner bauen und lachen!“, tröstete Lisa.

„Ja“, fiel Fissinor ein und er setzte sich gerader hin. „Und was wünscht ihr euch?“

Lukas und Lisa sahen sich an. Eigentlich hatte sich Lukas einen Elektrobaukasten gewünscht und eine ferngesteuertes Auto, und Lisa neue Federballschläger und ein Handy. Aber auf einmal fielen ihnen ganz andere Sachen ein.

„Dass Papa mehr Zeit hat zum Spielen und Geschichten-Vorlesen“, sagte Lisa.

„Eine Putzmaschine für Mama, damit sie nicht so viel Arbeit hat“, fügte Lukas hinzu.

„Eine Putzmaschine? Was soll das denn sein?“, fragte Lisa erstaunt.

„Die muss erst noch erfunden werden“, erklärte Lukas. „Das mache ich, wenn ich groß bin!“

„Was noch? Was wollt ihr werden, wenn ihr groß seid?“ Fissinor war jetzt auch neugierig.

„Na, Erfinder eben und Forscher. Vielleicht erforsche ich eure Eispilze, von denen die Menschen noch nichts wissen“, überlegte Lukas. „Oder Vulkane oder Sterne.“

„Und ich werde Gärtnerin“, sagte Lisa, „aber keine normale die nur Unkraut zupft. Ich will wunderschöne Blumen züchten, die es noch nie gegeben hat. Vor allem blaue, die wie der Himmel leuchten.“ Lisa dachte eine Weile nach. „Und ich wünsche mir noch eine neue Freundin“, fiel ihr ein. „Anne ist weggezogen.“

„Ich glaube, Freunde kann man sich nicht wünschen“, sagte Lukas nachdenklich. „Da muss man sich selber drum kümmern und sie zum Spielen einladen und so.“

„Ich habe mir doch auch Menschenkinder zum Kennenlernen gewünscht und sie bekommen“, meinte Fissinor. „Frag doch mal deinen Opa.“

Lisa musste lachen. „Vielleicht“, sagte sie und dachte an ihren Opa. Leider wohnte der sehr weit weg, aber die Kinder mochten ihn sehr. Vielleicht wäre es eine gute Idee, ihm zu Weihnachten einen Brief zu schreiben. Und ein Bild von Fissinor für ihn zu malen. Opa glaubte Dinge, die sonst niemand glaubte. Und er hörte immer zu.

„Übrigens, da wir von Opas sprechen, deiner ist draußen.“ Lukas zeigte auf den Vorhang, der im Wind tanzte, als wolle er zum Abschied winken.

Auf dem Heimweg stellte sich Fissinor vor, er würde nicht fliegen, sondern durch ein großes dunkles Meer tauchen und die funkelnden Sterne wären kleine silberne Fische.

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